Kalte Macht: Thriller (German Edition)
gefordert?«
»Er hatte ein soziales Gewissen«, sagte Wintersleben leise.
»Mein Gott, für wie naiv halten Sie mich eigentlich? Ich möchte wissen: Wer fordert einen Schuldenerlass? Was muss dazu geschehen sein?«
»Einen Schuldenschnitt kann nur fordern, wer seine Forderung bereits weitgehend abgeschrieben hat. Steuermindernd.«
»Ein Schuldenschnitt als Steuersparmodell?«
»So weit würde ich nicht gehen. Aber im Ansatz: ja.«
»Und die Nationalbank hatte ihre Forderung abgeschrieben.«
»Hatten wir.«
»Und die anderen Banken?«
»Die nicht.«
»Warum nicht?«
»Bei den anderen deutschen Instituten habe ich das nie verstanden. Sie wussten auch, was wir wussten, dass nämlich bei einem vollständigen Zahlungsausfall Mexikos und anderer Länder keiner mehr eine Mark sehen würde. Auch keine Zinsen.«
»Bei den anderen deutschen Instituten … Was aber war mit den internationalen? Mit den amerikanischen zum Beispiel?«
»Die hatten ihre Forderungen noch in den Büchern stehen.«
»Hatten die die Informationen nicht?«
»Doch. Aber sie waren gesetzlich nicht gezwungen abzuschreiben.«
»Während die deutschen Institute das mussten?«
Wintersleben nickte. Er fühlte sich sichtlich nicht wohl dabei, dass ihn seine Vergangenheit eingeholt hatte. Aber auf der anderen Seite schien er Natascha auch irgendwie erleichtert, dass er das alles einmal loswurde. »Wenn sie solide arbeiteten, ja. Es entsprach den gesetzlichen Vorgaben.«
»Das heißt, der gesetzgeberische Druck, die Leine, die Sie vorhin beklagt haben, hat der Nationalbank den Arsch gerettet?«
Wintersleben richtete sich in seinem Sitz auf. »Die solide Bewertungspolitik des Vorstands hat der Nationalbank den Arsch gerettet.«
»Und was ist heute anders? Was unterscheidet die Schuldenkrise heute von der vor fünfundzwanzig Jahren?«
»Heute sind wir in viel höherem Maße engagiert. Das sind Größenordnungen, in denen keine Bank auf die Schnelle abschreiben kann.«
»Und die Amerikaner?«
»Die haben diesmal das bessere Portfolio.«
»Und wollen diesmal den Schuldenschnitt.« Das stand so eine Weile im Raum. »Hat Feldmann deshalb seine Meinung geändert? Wegen der Amerikaner?«
»Warum sollte er? Er ist schließlich den Aktionären seiner Bank verpflichtet.«
»War Ritter das nicht auch?« Natascha musterte den Mann, der vor ein paar Minuten noch das Selbstbewusstsein in Person gewesen war und nun eine jämmerliche Gestalt abgab. »War er das nicht auch?«
»Deshalb hat er damals den Schuldenschnitt gefordert. Das war in der Situation das Richtige.«
»Also tut Feldmann in der heutigen Situation das Falsche?«
»Für die Bank, ja. Aber vielleicht denkt er ja auch daran, was mit Ritter geschehen ist.«
»Scheint fast so. Nach allem, was in letzter Zeit zwischen ihm und der Kanzlerin vorgefallen ist … «
*
Das Fernsehprogramm war so langweilig, dass es Henrik Eusterbeck beinahe leidtat. Noch mehr tat er sich selbst leid. Der Gedanke, dass er in der Unterhose vor der Glotze saß und gerade die zweite Flasche Wein entkorkt hatte, widerte ihn an. Er machte den Fernseher aus und ließ sich in die Waagrechte gleiten, um ein wenig zu entspannen. Gerade hatte er die Hand in seine Shorts geschoben, da vibrierte sein Handy. Eine SMS von Natascha. »Kannst du mir ein paar Infos über Frank Wilhelm zusammenstellen?«
Hatte er längst. Er stand auf und wankte ins Arbeitszimmer. Jetzt spürte er den Pinot Noir doch. Frank Wilhelm. Natascha hatte Henrik eine Liste mit Namen aus dem Bundespresseamt gegeben. Wilhelm war die Nummer zwei. Chef vom Dienst. Henrik klickte durch den Ordner, den er für ihn angelegt hatte. Es gab einige Artikel von ihm, schon lange her. Meist zu innenpolitischen Themen. In den Achtzigern hatte er zu den seriösen Terrorismus-Experten gehört. Hatte es bis zum Redaktionsleiter Innenpolitik beim SFB gebracht. Dann war es still um ihn geworden. Pressesprecher des Industrie- und Handelskammertags. Pressereferent im Gesundheitsministerium. Bundespresseamt. Verheiratet, zwei erwachsene Töchter. Wohnhaft im Wedding, Spiekengasse 8. Fuhr einen alten Audi. Seine Diplomarbeit hatte er über »Extremismus im Spiegel der Medien am Beispiel rechtsradikaler Untergrundorganisationen« geschrieben. Henrik überlegte, ob er die Arbeit für Natascha besorgen sollte, verwarf den Gedanken aber dann. Sie konnte unmöglich so ins Detail gehen bei ihrer Arbeit. Er checkte noch die Kontaktliste von Wilhelm, doch die war unauffällig. Kein
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