Kalte Macht: Thriller (German Edition)
lächeln musste: Zeigen Sie Ihrem Gesprächspartner, dass Sie alles unter Kontrolle haben. Schenken Sie ihm ein Glas Wasser ein, ohne zu fragen. Halten Sie Ihre Hand im Zaum. Die Geschmeidigkeit Ihrer Bewegungen ist ein Gradmesser für Ihre Souveränität. Natascha griff nach dem Wasser und nippte daran. Ohne Eile. Solche Seminare hatte sie auch besucht. Sie wusste, dass sein Puls sich gerade beschleunigte. Und das nicht nur, weil sie eine Frau war. Sie knöpfte ihren Mantel auf und schlug die Beine übereinander. »Sie erinnern sich vielleicht. Wir standen neben der Tür. Es war, kurz bevor Herr Dr. Frey zu uns stieß.«
Ahnungslos schüttelte Wintersleben den Kopf. »Tut mir leid, ich wüsste nicht …«
»Sie sagten etwas wie: nett von der Kanzlerin, dass sie Feldmann so eine Geburtstagsfeier ausrichtet. Nach allem, was in der letzten Zeit zwischen den beiden vorgefallen ist. Dieser letzte Satz ist mir im Gedächtnis geblieben – nach allem, was in letzter Zeit zwischen den beiden vorgefallen ist. Wissen Sie, ich habe mich gefragt, was Sie damit meinen könnten. Denn, offen gesagt, ich habe keine Ahnung, was zwischen den beiden vorgefallen ist.«
Wintersleben entspannte sich etwas. »Ach«, sagte er und winkte ab, als sei es der Rede nicht wert. »Belanglosigkeiten. Das meiste davon war vermutlich sowieso nur Gerede.«
»Und welcher Art war dieses Gerede?«
Er schenkte nach. Ein böser Fehler. Übertreiben Sie es nicht. Nervosität verleitet die meisten Menschen dazu, irgendwelche sinnlosen Aktivitäten auszuführen. Bleiben Sie ruhig. Wintersleben blieb nicht ruhig, und Natascha wusste, dass sie einen sensiblen Punkt berührt hatte. Wintersleben zwinkerte. »Das ist Ihnen sicher auch alles zu Ohren gekommen. Der Streit um den vierten Rettungsschirm. Die Abwertungen. All das.«
»Der Schuldenschnitt?«
»Natürlich. Der auch.«
»Feldmann war dagegen.«
»Alle waren dagegen.«
»Die meisten Länder waren dafür.«
»Ich meinte: Alle Banken waren dagegen.«
»Und doch hat Feldmann sich jetzt dafür ausgesprochen.«
Wintersleben stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum. »Entschuldigen Sie, ich muss eben etwas nachsehen.« Er tat sehr beschäftigt, blätterte in seinem Kalender und warf einen Blick in seinen Computer. Doch es war offensichtlich, dass er versuchte, Zeit zu gewinnen. Warum? Was regte ihn an dem Gespräch so auf? »Sehen Sie«, fuhr Natascha fort, »ich frage mich, woher dieser Sinneswandel kommt. Vielleicht verstehe ich es besser, wenn Sie mir erklären, warum er vorher so vehement dagegen war.«
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich der Richtige bin, um mit Ihnen diese Dinge zu diskutieren, Frau Eusterbeck. Außerdem bin ich sehr beschäftigt.«
»Sie gehörten zu der handverlesenen Gruppe persönlich geladener Gäste der Feier im Kanzleramt. Sie sind Chefvolkswirt einer renommierten Bank. Sie müssen sich mit der Materie doch auskennen. Und das hier ist ein ganz und gar informelles Gespräch.«
»Ein informelles Gespräch?«
»Niemand weiß, dass ich hier bin, Herr von Wintersleben. Von mir aus kann das auch so bleiben.«
Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor und setzte sich wieder zu ihr, doch er lehnte sich nicht mehr gelassen in seinem Sessel zurück, sondern saß auf dessen Kante wie jemand, der jederzeit die Möglichkeit zur Flucht haben will.
»Warum waren alle gegen den Schuldenschnitt?«
»Ein Schuldenschnitt ist nichts anderes als ein Forderungsverzicht. Dem Schuldner werden Schulden erlassen.«
»Schulden, die er doch sowieso nicht mehr bezahlen kann. Kann man da von einem Forderungsverzicht sprechen?«
»Aber natürlich. Sehen Sie: Wenn Sie Geld verleihen, dann mag es sein, dass Sie das verliehene Geld nie mehr wiedersehen. Aber durch die Zinszahlungen amortisiert es sich trotzdem nach einigen Jahren.«
»Das bedeutet, es geht gar nicht um die Forderung, sondern um die Zinsen?«
»Auch die Zinsen sind ja Forderungen. Aber ja, sie sind nicht die Forderungen in der Hauptsache, wenn Sie so wollen.«
»Mit anderen Worten, die Banken haben ganz gut daran verdient, dass einige Länder ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen konnten.«
»Natürlich. Sehen Sie, ich will Ihnen nichts vormachen. Banken sind kein Sozialhilfeverein. Ein Staat, der sich verschuldet, muss Zinsen zahlen. Je schwächer er wirtschaftlich dasteht, umso höher sind diese Zinsen. Und um sich die Zinszahlungen leisten zu können, muss er weiteres Geld aufnehmen. Das senkt natürlich seine
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