Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Ihrem Auftritt, Frau Eusterbeck«, sagte Kanzleramtsminister Steiner, als er neben ihr in den Fahrstuhl stieg. »Sie haben sich sehr gut geschlagen.«
»Ich habe eigentlich nicht viel gesagt.«
»Eben. Sie haben politisches Talent.«
Natascha suchte in seinen Zügen nach so etwas wie Ironie, doch da war nichts. Allein diese Art von Äußerung hätte sie Steiner gar nicht zugetraut. Ein persönliches Lob, so etwas gab es ihres Wissens in seinem Kosmos nicht. Da gab es nur ihn und die, die ihm nützten. Alle anderen waren Dreck. Wenn sie aber nicht Dreck war, konnte sie ihm also irgendwie nützlich erscheinen? »Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie mich verteidigt haben«, sagte sie und sah, wie auf der Anzeige des Fahrstuhls die »1« aufleuchtete.
»Ich habe nicht Sie verteidigt, Frau Eusterbeck«, erwiderte Steiner und drückte auf die Taste »Schließen«, sodass die Tür sich nicht öffnete. Er war ihr so nahe, dass sie seinen Mundgeruch als unerträglich empfand. »Ich habe eine Entscheidung der Kanzlerin verteidigt. Vielleicht war es eine falsche Entscheidung. Gut möglich. Aber ich werde nicht zulassen, dass eine Entscheidung der Kanzlerin in Zweifel gezogen wird.« Natascha spürte, wie Panik in ihr hochkroch. Ein enger Aufzug, ein Mensch, der sie bedrängte, der üble Geruch … »Ich erwarte«, sagte Steiner und senkte seine Stimme, sodass sie kaum noch zu hören war, »dass wir beide gut zusammenarbeiten. Kommen Sie mir mit Ihren Überlegungen nicht in die Quere. Das ist mal das Erste, was Sie beherzigen, ja? Und im Übrigen bedenken Sie, dass ich der Herr dieses Hauses bin. Ich habe sehr wohl gemerkt, dass Sie nicht zuerst bei mir vorbeigekommen sind, als Sie Ihr Amt angetreten haben. Sie haben auch nicht zuerst mich gefragt, als Sie begonnen haben, hier überall herumzuschnüffeln.« Natascha war der Ohnmacht nahe. Sie starrte Steiner nur hilflos an und versuchte, ihren Brechreiz zu beherrschen. Sie wusste selbst, dass es ein Witz war, sich von einem so lächerlichen Mann in die Enge treiben zu lassen. Und doch hatte sie Angst. Angst vor ihm, vor seinen Ausdünstungen, der Enge und vor der Drohung, die er unterschwellig ausstieß. Sie nickte, ohne zu wissen, wozu. »Tut mir leid«, flüsterte sie schließlich.
»Gut. Sie sind Anfängerin. Da macht man Fehler. Machen Sie keinen mehr als einmal. Es wäre schade um Ihr Talent.« Er ließ den Knopf los, die Tür glitt auf. »Ich lasse Ihnen rechtzeitig eine Liste mit meinen Vorschlägen zukommen.«
»Vorschlägen?«
»Zu Ihrer Reform.«
»Ja, natürlich.« Natascha atmete tief durch und trat nach draußen. »Danke.«
»Ich habe zu danken«, hörte sie Steiners Stimme in ihrem Rücken, während die Tür des Aufzugs wieder zuglitt und sie spürte, wie ihre Beine nachgaben.
*
Es war ein einfaches Mietshaus, alt und dringend renovierungsbedürftig, eines der wenigen in dieser Gegend von Charlottenburg, die den Luxussanierern durch die Fänge gegangen waren. Im Treppenhaus roch es nach Kohlsuppe, Henrik kam sich vor wie in eine frühere Zeit versetzt. Unwillkürlich blickte er sich nach einer Hausmeisterin um. Doch dergleichen gab es längst nicht mehr. Stattdessen lagen Zettel und Werbezeitschriften verstreut im Hausflur herum und steckten in mehreren noch ungeleerten Briefkästen. Die Namen waren so durchschnittlich wie die ganze Gegend. Der Briefkasten mit der Bezeichnung Delgado war oben rechts. Henrik fragte sich, ob er daraus schließen durfte, dass auch die Wohnung weiter oben lag. Zwei Gratisblätter ragten daraus hervor. Er ignorierte sie und ging die Treppe hoch.
Im ersten Stock wohnten Brauers und Zolitschs. Er stieg die Treppe weiter nach oben. Im zweiten Stock und auch im dritten Stock kein Schild auf den Namen Delgado. Ebenso wenig im vierten und damit letzten Stock. Das überraschte ihn. In der dritten Etage hatte eine Wohnung kein Schild gehabt. Ob sie dort wohnte? Er lief noch einmal ganz hinab und studierte Briefkästen und Klingelschilder. Alle Namen hatte er vorhin an den Türen gesehen. Außer Delgado. Das musste sie also sein, die Wohnung im dritten Stock.
Er stieg wieder hoch und läutete an der Tür. Lauschte. Wartete. Nichts. Weder öffnete jemand, noch waren von drinnen Geräusche zu vernehmen. Noch einmal drückte er auf den Klingelknopf. Wartete. Hinter der Tür nebenan war ein Scharren zu hören, offenbar blickte jemand durch den Spion. Er wandte sich der Nachbarwohnung zu und läutete dort, während er selbst von außen
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