Kalte Spuren (German Edition)
nickte leicht. »Sie haben vermutlich recht. Es wäre wenig sinnvoll, den Kapitän mit einer Waffe zu bedrohen und ihn zu zwingen, die Le Soleil Fahrt aufnehmen zu lassen.«
»Richtig.« Markus lehnte sich vor und sah aus den Augenwinkeln, wie Amandine sich automatisch anspannte. Sie traute ihm nicht. Als wenn ausgerechnet er den Mumm hätte, unter all den schwer bewaffneten Mädels eine Revolte anzuzetteln. »Aber Sie müssen davon ausgehen, dass Veronica noch etwas vorbereitet hat. Wenn sie für die Generäle gearbeitet hat, werden die es nicht zulassen, dass G-Dawn noch irgendwelche Proben des Defector-Virus an Bord behält. Veronica hat ja nur ein Reagenzglas mitnehmen wollen. Wie viele haben sie dort unten gelagert? Dutzende?«
Narwick warf einen Seitenblick zu Amandine. Dann seufzte er, leerte seinen Scotch und sah Markus wieder an. »Wir haben das Defector-Virus nicht.«
»Also, wenn ich Veronica gewesen wäre …« Markus hielt plötzlich inne. »Was haben Sie da gerade gesagt?«
»Wir haben das Defector-Virus nicht.« Narwick schlug ein Bein über das andere. »Das Gerücht haben wir in die Welt gesetzt, damit die Generäle denken, wir würden gleichziehen. Tatsächlich haben wir eine Expedition in die Antarktis geschickt, die allerdings mit leeren Händen wieder zurückkam. Sie haben keine Leichen der weiblichen Antaradim gefunden.«
Markus stieß die Luft aus und kratzte sich am Hinterkopf. Er sah von Narwick zu Amandine, die nur den Kopf schräg legte und die Schultern hob.
»Bei genauerer Betrachtung wissen wir nicht einmal, ob die Vermutung über die beiden Virenstämme überhaupt zutrifft.«
Eine steile Falte entstand zwischen Markus’ Brauen. »Wie meinen Sie das? Sie haben doch gestern noch vollmundig erklärt, wie das mit den Antaradim gelaufen ist.«
»Ja.« Narwick schnalzte mit der Zunge und schenkte sich Scotch nach. »Die Geschichte enthält nicht nur im Kern eine Wahrheit. Renegade existiert, ganz sicher. Und wir wissen, dass Shift-P, die Substanz, die den Hazardern verabreicht wurde, beide Virenstämme enthält. Allerdings ist die Sache mit den Chromosomen etwas schwammig überliefert. Wir sind uns nicht sicher, ob die Antaradim-Frauen tatsächlich das Defector-Virus in ihrer DNA hatten oder ob es nicht irgendwo anders herstammt. Genauere Auskunft erwarten wir aus einer Datenbank der Antaradim.«
»Eine Datenbank? Wenn dieses vorgeschichtliche Völkchen schon so lange verschwunden ist, wird es wohl kaum Computer gehabt haben, oder?«
Narwick lächelte. »Sie denken zu modern.«
Markus rieb sich über die Lippen und dachte nach. Eine frühgeschichtliche Datenbank konnte alles Mögliche bedeuten und musste nichts mit heutigen elektronischen Verzeichnissen zu tun haben. Er sah Narwick an. Eigentlich war er zu dem Earl gekommen, um ihm seine Vermutung über Veronicas Fluchtplan mitzuteilen, doch der Gedanke trat plötzlich in den Hintergrund. G-Dawn hatte sich bedeckt gehalten und Geheimnisse um sich gewoben. Auch wenn Veronica sich als Verräterin entpuppt hatte und Narwick jedem Fremden gegenüber noch misstrauischer sein sollte, stellte sich Markus plötzlich die Frage, warum der Kopf G-Dawns ihm das jetzt alles erzählte und die Karten offenlegte.
Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihm. Ehe er es verhindern konnte, platzte die Frage schon aus ihm heraus: »Warum erzählen Sie mir das eigentlich alles?«
Narwicks Lächeln erstarb auf der Stelle und Markus hätte sich beinahe auf die Zunge gebissen.
»Es tut mir leid, Herr de Vries.«
Plötzlich schien die Temperatur im Raum schlagartig zu fallen. Der eisige Hauch des Todes lag in der Luft und Markus spürte eine Bewegung hinter sich, noch bevor er das dazu passende Geräusch hörte. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass irgendetwas geschah. Entweder auf den kurzen Schmerz, mit dem eine Kugel seine Schädeldecke zerfetzte, ehe sie in sein Gehirn eindrang und es schlagartig dunkel werden ließ. Oder auf den schnellen Schnitt unterhalb seines Kinns, der ihn unweigerlich ausbluten lassen und weit qualvoller sterben ließ. Er betete, dass Amandine es schnell beendete.
18:03 Uhr
Die Stille in der Eishöhle wurde unerträglich. Mehrere Minuten lang starrte Kristina Semenova Eileen einfach nur an und schien über deren Worte nachzudenken. Nur die leicht zischenden Atemzüge der mit Gasmasken bewehrten russischen Soldaten waren zu hören und erfüllten die Stille mit einem beinahe unheimlichen Pfeifen.
»Was meinen Sie
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