Kalte Wut
Sonnenlicht, sah er, daß die Mauern, die er anfangs für weiß gehalten hatte, in Wirklichkeit in einem zarten Rosaton gestrichen waren.
Als er zurückschaute, sah er zwei Frauen mit Einkaufskörben und einen mittelgroßen Mann, der einen Ledermantel und eine Pelzmütze trug und leicht gebückt ging, obwohl er nicht älter aussah als Mitte vierzig. Er erwartete, daß der Mann so tat, als betrachtete er ein Schaufenster, die übliche Taktik eines Verfolgers, wenn er sich bemerkt fühlt, aber der Mann kam weiter auf ihn zu.
Philip machte kehrt, bestrebt, aus dem eisigen Wind herauszukommen, dessen Stärke inzwischen zugenommen hatte.
Er bog in eine mit Kopfsteinen gepflasterte Arkade ein, schmal und an beiden Seiten von alten Gebäuden gesäumt. Er beschleunigte seine Schritte, bis er das Ende der Arkade erreicht hatte und sich in einer Straße befand, die Getreidegasse hieß.
Ein Schild wies auf das Cafe Mozart hin. Die Straße war lang und sehr schmal und für seinen Geschmack entschieden zu leer.
Er stieg die zum Mozart hinaufführende Treppe empor und betrat einen weitläufigen Raum mit großen Fenstern. Der Fußboden bestand aus Parkett, die Tische hatten Marmorplatten.
Am hinteren Ende des Raums stand ein hoher Vitrinenschrank mit einer Vielzahl von Tellern. Er ließ sich an einem Tisch mit dem Rücken zur Wand nieder, von dem aus er den Eingang überblicken konnte. Er hatte gerade Kaffee bestellt, als der Mann in dem Ledermantel auftauchte. Die Mütze trug er in der Hand. Er hatte sandfarbenes Haar und buschige Augenbrauen. Er ging auf Philips Tisch zu und ließ sich ihm gegenüber nieder.
Philip, der festgestellt hatte, daß sie die einzigen Gäste in dem Cafe waren, griff in sein Jackett. Seinen Mantel hatte er über einen freien Stuhl gehängt. Er holte eine Schachtel Zigaretten heraus. Er rauchte nur selten, aber der Griff in die Tasche gab ihm Gelegenheit, den beruhigenden Griff seiner Walther zu ertasten.
»Ich hoffe, Sie entschuldigen meine Zudringlichkeit«, sagte der Fremde mit einem öligen Lächeln auf Englisch. »Aber wir haben einen gemeinsamen Bekannten. Mr. Tweed …«
Kurz nachdem Philip gegangen war, hatte Tweed Paula in einen der Speisesäle geführt. Sie war beeindruckt, sobald sie den Raum betraten, dessen Fenster auf die Salzach hinausgingen. Die Wände waren mit dunkelrotem Holz getäfelt, und die Decke war mit Achtecken aus dem gleichen Holz verkleidet, den Boden bedeckte ein dunkelroter Teppich. Der Raum hatte eine warme und heitere Atmosphäre. Der Oberkellner geleitete sie zu einem an der Wand stehenden Tisch mit einer Sitzbank.
»Ich hoffe, wir sind nicht zu spät dran«, sagte Tweed und ließ den Blick durch den sonst leeren Saal schweifen.
»Sie haben alle Zeit der Welt«, versicherte ihm der Oberkellner lächelnd.
Da bin ich nicht so sicher, dachte Tweed.
»Wir hätten gern ein Glas Wein«, sagte er zu Paulas Überraschung. Er trank nur sehr selten. »Ein Chablis wäre vielleicht das Richtige.«
»Sie sind in Osterreich«, sagte der Kellner. »Darf ich Ihnen einen sehr angenehmen trockenen österreichischen Weißwein vorschlagen, einen Grünen Veltliner?«
Ach herrje, dachte Paula, österreichischer Wein. Der Kellner spürte ihre Unentschlossenheit.
»Darf ich vorschlagen, daß ich Ihnen zwei Gläser zum Kosten bringe? Wenn er Ihnen nicht schmeckt, bekommen Sie Chablis.«
Der Kellner war so überzeugt, daß Tweed beschloß, ein Glas zu probieren. Beide nippten vorsichtig und sahen sich dann an. Paula lächelte den Kellner an. Es war ein leichter, trockener Weißwein, und er schmeckte hervorragend. Sie nickte Tweed zu.
»Wir nehmen eine Flasche – und danke für die Empfehlung«, sagte Tweed.
»Eine ganze Flasche?« flüsterte Paula. »Ist das nicht etwas übertrieben?«
»Ja, aber wir bekommen Gesellschaft.«
Paula schaute auf, erstarrte innerlich. Jill Seiborne kam auf ihren Tisch zu und legte die Hände wie zum Gebet zusammen.
»Darf eine einsame Frau sich zu Ihnen gesellen, oder würden Sie lieber allein essen? Seien Sie bitte ehrlich …«
Tweed hieß sie so herzlich willkommen, daß Paula ihn anstarrte, als ihr unvermuteter Gast sich niederließ. Außerdem versuchte Paula, Jill nicht zu mustern, die ihr Äußeres verändert hatte. Anstelle des dicht an ihrem Kopf anliegenden Haarhelms, mit dem sie bei ihrer Begegnung im Bayerischen Hof in München aufgetaucht war, hing ihr Haar jetzt in dichten, schwarzen Wellen herunter. Paula wünschte sich, auch
Weitere Kostenlose Bücher