Kalte Wut
er während des Kampfes spurlos verschwunden.
Lucien stand in der Gasse unter einer Laterne. Er grinste, als er Philip sah, und spuckte aus. Im Licht der Laterne sah er ungeheuer bösartig aus – die bucklige Gestalt, der zu beiden Seiten seines grausamen Mundes herabhängende Schnurrbart, die Bartstoppeln im Gesicht. Er ging auf Philip zu, mit ausgebreiteten Armen.
Als Philip die Gasse betrat, spürte er weichen, lockeren Schnee unter seinen’ Füßen, aufgescharrt von Leuten, die früher hier entlanggeeilt waren. Offensichtlich wurde die Gasse als Abkürzung benutzt. Lucien passierte das große Holzfaß mit dem gesammelten Regenwasser und war bereits ganz nahe an Philip herangekommen, als seine rechte Hand einen Bogen beschrieb, so schnell, daß es aussah wie eine optische Täuschung. Jetzt hielt er ein Schnappmesser in der Rechten. Die drückende Stille der Gasse wurde durch ein Klicken unterbrochen, als die Klinge heraussprang.
Philip blieb stehen, als hätte er Angst. Sein rechter Fuß schob sich vor und zurück, eine ebenso schnelle Bewegung, wie es die von Lucien gewesen war. Er kickte eine Ladung kalten Schnee hoch, die Lucien ins Gesicht traf und ihn einen Moment blendete.
Philip stürzte sich auf ihn, packte seinen rechten Arm, drehte ihn Lucien weit auf den Rücken. Lucien stöhnte vor Schmerz und ließ das Messer fallen.
Wut überkam Philip, kalte, tödliche Wut. Während er mit einer Hand Luciens Kehle packte, ließ er seinen Schuh mit aller Kraft am Schienbein des Gangsters herunterscharren. Sie kämpften miteinander, und Philip wunderte sich über die Kraft des kleineren Mannes. Er senkte den Kopf und rammte ihn gegen Luciens Brustkorb; gleichzeitig benutzte er seinen Griff um die Kehle seines Gegners, um dessen Kopf zur Seite zu drehen und an die Steinmauer zu stoßen.
Lucien lehnte ein paar Sekunden lang benommen an der Mauer.
In diesen paar Sekunden ging Philip in die Hocke, packte Luciens beide Knöchel, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, hob ihn hoch in die Luft und ließ ihn, nach wie vor seine Knöchel umklammernd, in das Faß fallen. Luciens Kopf durchbrach die Eisschicht in dem Faß und versank in dem darunterstehenden Wasser. Als Lucien verzweifelt versuchte, sich mit beiden Händen am Rand des Fasses festzuhalten, ließ Philip einen seiner Knöchel los und ließ seine Faust auf beide Hände niedersausen, woraufhin sie den Rand losließen. Philip drückte ihn noch tiefer ins Wasser, dann zerrte er ihn hoch. Lucien würgte und keuchte, an seinem Schnurrbart begann sich bereits Eis zu bilden.
»Ich ersticke!« ächzte Lucien. »Ich kann nicht atmen …«
Ich kann nicht atmen.
Die gleichen Worte, die Jean gesprochen hatte, als sie sie in Amber Cottage fanden. Philips Miene war die eines Scharfrichters.
»Meine Frau, Jean Cardon, konnte auch nicht atmen, nachdem du sie in Amber Cottage in England gefoltert hattest. Gib zu, daß du es warst, dann gebe ich dir vielleicht nicht den Rest.«
»Ja, ich war es«, keuchte Lucien. »Aber ich habe nur einen Befehl befolgt …«
»Wer hat diesen Befehl erteilt?«
»Ich getraue mich nicht, das zu sagen.«
Philip tauchte ihn abermals tief in das eiskalte Wasser. Er war klein, also mußte sein Kopf bereits den Grund des Fasses berühren. Philip hielt ihn unter Wasser. Die Arme begannen ihre Kraft zu verlieren. Er zerrte ihn wieder hoch. Das von seinem Bart herabtropfende Wasser wurde zu Eis. Lucien spuckte Wasser aus, hustete, würgte.
»Kann nicht atmen«, keuchte er schließlich.
»Das konnte Jean auch nicht«, sagte Philip erbarmungslos.
»Wer hat dir befohlen, Jean zu foltern? Das ist vielleicht deine letzte Chance, am Leben zu bleiben.«
»Ich kann nicht …« Philip begann langsam, ihn wieder niederzudrücken. »Halt!« schrie Lucien. »Ich sage es Ihnen. Es war Walvis …«
»Walvis selbst hat dir befohlen, das zu tun, was du getan hast?« fragte Philip unerbittlich.
»Ja. Walvis. Es war Walvis. Walvis selbst …«
»Das dachte ich mir. Aber ich mußte es genau wissen.« Philip drückte ihn abermals hinunter, so tief, wie es nur ging. Die Arme flegelten wieder herum. Philip ließ nicht locker. Das aufgewühlte Wasser an der Oberfläche beruhigte sich. Luftblasen stiegen auf, dann keine mehr. Philip drückte die in Stiefeln steckenden Füße unter die Oberfläche. Er zog seine durchweichten Handschuhe aus, trocknete sich mit einem großen Taschentuch die Hände ab und zog ein frisches Paar Handschuhe an. Die durchweichten würde
Weitere Kostenlose Bücher