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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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um.
    »Suchst du was?«
    »Eine Schaufel.«
    Die Frau kommt, das mittlere Kind auf dem Arm, und öffnet die Haustür. »Da!«, sagt sie.
    Also raus damit! – Praktisch!
    Einen Augenblick lang stehe ich etwas verloren da: Soll ich nun auf einen Auftrag warten oder selber etwas in Angriff nehmen? Niemand scheint im Moment meine Anwesenheit wahrzunehmen oder etwas von mir zu wollen. Also setze ich mich auf die eine Ecke der Bank. Am anderen Ende ist der Mann damit beschäftigt, an einem Topf den Henkel wieder anzubringen, die Frau bereitet das Abendessen.
    Geredet wird hier anscheinend nicht viel, aber mir soll das nur recht sein. Ich will von diesen Leuten nichts, umso besser also, wenn sie auch von mir nichts wollen! Nicht dass es einen Grund gäbe, diese Menschen hier zu hassen, aber man hat mich hierher verfrachtet wie ein Stück Vieh. Niemand hat sich darum geschert, ob ich das will oder nicht. Von all meinen Lieben hat man mich weggerissen, ohne mich zu fragen, und das kleine Stückchen Freiheit, das ich bei Władka und Michał gewonnen hatte, hat man mir wieder genommen. Nein, ich will hier nicht sein und ich will hier auch nicht dazugehören!
    Mit verschränkten Armen halte ich mir die Außenwelt vom Leibe. Meine Augen schweifen umher, ihnen entgeht nichts, aber mein Beobachten ist kaltes Registrieren: Ich nehme wahr, aber ich nehme nicht Anteil. So sitze ich in mich verschlossen da, kümmere mich um keinen und niemand kümmert sich um mich.
    »Essen!«, höre ich.
    Auf dem Tisch liegen nur Löffel. Ich schaue mich um, ob ich irgendwo Teller sehe, merke aber gleich, dass ich mir das sparen kann. Die Frau, deren Namen ich immer noch nicht kenne, hat den Kochtopf auf den Tisch gestellt, und der Mann langt mit seinem Löffel direkt hinein. Die Frau und der Dreijährige tun es ihm nach. Normalerweise fände ich nicht viel dabei, ich habe in letzter Zeit auf vielerlei Weise gegessen. Hier aber will ich mich daran stoßen, ich will mich nicht damit abfinden, mit überhaupt gar nichts! Der zerbeulte Topf ist fleckig und unten schwarz von Ruß, und dass die Löffel sauber sind, will ich nicht glauben. Der Mann sitzt mir gegenüber und schmatzt. Statt der Vorderzähne hat er nur Stummel. Ich empfinde Ekel und habe keinen Appetit. Selten habe ich an einem Essen so lange herumgekaut!
    Ich kann nichts anderes denken, als dass ich hier nicht sein will! Dabei ist im Grunde nicht diese Hütte widerwärtig, nicht dieses Essen, nicht diese Menschen. Widerwärtig ist die Art, wie ich hierher verschoben worden bin. Die Gemeinheit der Miliz ist es, die mir solche Wut einflößt, eine Wut, die viel größer ist als der Schmerz darüber, dass ich von Mama weggerissen worden bin, und von Huppe und Wolfi. Und es ist diese Wut, die ich nun auch auf die Menschen hier übertrage, auch wenn ich weiß, dass das ungerecht ist.
    Das Essen ist zu Ende, Gott sei Dank!
    »Irena muss noch gewindelt werden«, sagt die Frau. Inzwischen kann ich so viel Polnisch, dass ich keine Mühe habe, das zu verstehen.
    Ich rutsche von der Bank, nehme der Frau die Kleine aus den Händen und versorge sie mit kundigen, an Janusz geübten Griffen auf dem Tisch.
    »No patrzcie, patrzcie!« 14 , sagt die Frau erstaunt.
    Unfreundlich sind sie wenigstens nicht!
     
    Ich kann mir aussuchen, wo ich auf dem Boden schlafen will, also wähle ich die Ecke neben dem Herd und streue da mein Stroh hin.
    Lange kann ich nicht einschlafen. Meine Wut ist umgeschlagen in Traurigkeit, in Sehnsucht nach Mama, nach Huppe und Wolfi, in Heimweh nach Waly, dem jetzigen Waly mit allem, was meine vertraute Welt dort ausgemacht hat. So warm ich es hier auch habe, ich sehne mich doch nach dem kalten Kohlenkeller mit Gitterfenster und Kochkessel, mit der alten Staffa und all den anderen. Und nach Władka und Michał mit dem kleinen Janusz. Was werden sie machen ohne mich? Vor allem aber sehne ich mich nach dem Gesicht von Mama! Diesem Gesicht, das mir auf einmal so unendlich schön, so unendlich warm vorkommt. Ganz tief drinnen habe ich vielleicht gehofft, sie käme am Abend noch, würde mich, wenn schon nicht mitnehmen, so doch wenigstens umarmen und mir Gute Nacht sagen. Natürlich weiß ich, dass das nicht geht, dass Waly viel zu weit weg und der Weg viel zu gefährlich für Mama ist. Aber gehofft habe ich es wohl trotzdem.
    Noch nie habe ich mich so allein gefühlt!
    Wie lange ich wohl hier bleiben muss? Hier, wo mir alles so fremd ist und wo ich sofort wegrennen würde, wenn Wegrennen

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