Kalter Amok
ja gehofft, daß Sie uns helfen können. Sie wissen, wer die Opfer waren. Mit Ausnahme der Frau aus Montrose sind sie alle in diesem Haus gewesen.«
Er sah es in ihren Augen, sobald er es gesagt hatte. Fragte sich, wo er mit seinen Gedanken gewesen sein mochte.
»Hier.« Er nahm einen Montblanc-Füllfederhalter aus der Jackentasche und schrieb Dr. Hammonds Namen und Praxisadresse auf ein Stück Papier. »Ich rufe ihn an. Er beginnt mit einer Serie vorbeugender Impfungen. Ich glaube zwar nicht, daß Sie in Gefahr sind, aber ich würde Ihnen empfehlen, sich mit keinem von denen, die sich bei der Partner getroffen haben, irgendwo allein aufzuhalten. Egal, ob Mann oder Frau.«
»Impfungen? Wie sind denn die Mädchen gestorben?«
»An einem seltenen Virus.«
»Mein Gott! Und wie wirkt sich das aus?«
Er beschrieb ihr die Symptome, ohne zu sagen, um welche Krankheit es sich handelte, und empfahl ihr, auf alle Fälle Kontakt aufzunehmen mit Dr. Hammond, falls sie sich irgendwie unwohl fühlte. Er beneidete sie nicht um die hypochondrische Angst, die sie durchstehen mußte, bis sie die Serie der Impfungen hinter sich hatte. Die Zigarette baumelte zwischen ihren Fingern.
»Bin ich in größerer Gefahr, weil ich mit Ihnen gesprochen habe?« fragte sie nüchtern.
Er schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Er hatte absolut keinen Grund, das zu behaupten. »Aber Sie sollten vorsichtig sein. Ich kann nicht ahnen, wie diese Person vorgeht.«
Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette.
»Na, was sagt man dazu«, murmelte sie wie zu sich selbst. Dann schaute sie durch das Fenster hinaus auf die Halle im Tiefgeschoß.
Haydon tat dieses Mädchen leid. Sie war erschüttert bis zu dem Punkt, wo sie es nicht mehr verbergen konnte. Er beobachtete ihr Gesicht, während sie geistesabwesend die Geschäftsleute betrachtete, die aus den Tunnels auf den unterirdischen Platz strömten. Er hätte sie gern gefragt, was sie jetzt dachte.
Schließlich nahm er eine Karte aus seiner Brieftasche und legte sie vor Maureen Duplissey auf den Tisch.
»Wenn Sie mich anrufen möchten – aus welchem Grund auch immer, tun Sie es. Man kann mich jederzeit irgendwo erreichen.«
»Ja, das werde ich tun«, versprach sie. In Gedanken war sie immer noch weit weg.
Haydon stand auf und blieb neben dem Tisch stehen»Ach«, sagte sie. »Ich glaube, ich bleibe noch eine Weile hier sitzen.«
»Gut. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mit mir gesprochen haben.« Es klang so wie: »Vielen Dank – beehren Sie mich bald wieder.«
»Schon gut«, sagte sie. Sie war höflich, aber ganz weit weg von ihm, und ihre Blicke schweiften wieder hinaus in die Halle.
Er ging und bezahlte beim Hinausgehen an der Kasse den Irish Coffee. Sie sah ihm nicht nach, als er an der Glaswand vorbeikam und in einem der Tunnels verschwand.
28
Rafael Guimaraes saß allein in der lauten Cafeteria im Erdgeschoß des Hermann-Hospitals. Er aß und trank nichts und handelte sich damit vorwurfsvolle Blicke der Studenten ein, die mit Händen und Armen voll Büchern und Tabletts nach einem Platz zum Essen suchten, als sie aus der Schlange an der Essensausgabe herein in den dichtbesetzten Speisesaal kamen. Er schaute hinaus auf die Zufahrt von der Fannin Street, die überdacht durch das Gebäude des medizinischen Instituts führte und auf der anderen Seite, am Sterling Circle, wieder herauskam, von wo aus der Zubringerbus des medizinischen Zentrums seine Runden machte.
Rafael hatte selbst einen anderen Rundgang hinter sich, mit einem Team, das aus ihm selbst, einem anderen, begabten, älteren Studenten, einem Kollegen von der Abteilung Infektionskrankheiten, einem Assistenzarzt und Dr. Morton bestand. Es ging dabei um ein besonderes Projekt von Dr. Morton, das die Fähigkeiten der ungewöhnlich Begabten in einer Gesellschaft von Hochbegabten auf eine harte Probe stellte. Später hätte Rafael eine Vorlesung über Gastroenterologie besuchen sollen, aber er hatte sie sausen lassen und war in die Cafeteria gekommen, wo er nun schon seit einer Stunde saß. Mit einem Ausdruck völliger Geistesabwesenheit zupfte er an seiner Nase und schaute über den manikürten Rasen hinüber zum hohen Dreieck der Dunn-Interfaith-Kirche, die auf einer Anhöhe von der Größe eines Fußballplatzes stand. Zwei Leute in weißen Mänteln kamen aus der Tür der Kirche und gingen auf den alten, elliptischen Hintereingang des Hermann-Hospitals zu.
Es war unausweichlich, dachte er, daß sich irgendwann
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