Kalter Amok
dennoch ans Tageslicht gezerrt werden…« Er zuckte mit den Schultern. »Sie dürfen unsere Identitäten jedenfalls nicht an die Presse weitergeben.«
»Okay«, sagte Haydon. »Aber eines möchte ich klarstellen. Wenn sich ein Teil Ihrer Informationen als unkorrekt erweisen sollte, und sei es auch nur die kleinste Einzelheit, dann sind alle Versicherungen, die wir Ihnen gegeben haben, null und nichtig.« Er schaute DeLeon direkt in die Augen und fügte hinzu: »Also seien Sie vorsichtig, Mr. DeLeon.«
»Einverstanden«, erklärte DeLeon. »Und wie sollen wir Ihnen die Informationen übermitteln?«
»Mr. Hirsch hat einen Block hier und einen Kugelschreiber. Nennen Sie ihm einfach die Namen der Mädchen, ihr Alter, die Namen der Männer, die Sie für Ihre Dienste bezahlt haben, um wen es sich bei ihnen handelt und ob die Mädchen Ihrem Wissen nach noch leben oder schon tot sind, nach Möglichkeit auch die Daten der Todesfälle. Es würde uns helfen, wenn Sie uns die Mädchen in der Reihenfolge nennen könnten, wie sie aus Brasilien hier eingetroffen sind.«
DeLeon nahm ein kleines Notizbuch aus seiner Westentasche und lehnte sich gegen das Seitenfenster, um besser sehen zu können, während er ein paar Seiten durchblätterte, um zu finden, was er suchte. Dann diktierte er so trocken, als lese er aus einem Inventurbericht vor, die Informationen, die Haydon gefordert hatte. Da viele der Namen brasilianisch waren, buchstabierte er sie geduldig. Als er über einzelne Details befragt wurde – Fragen, die Hirsch so geschickt einwarf, daß man erkennen konnte, wie weit er bereits informiert war – lieferte DeLeon bereitwillig die dazugehörigen Antworten.
Während dieser banalen Auflistung von Namen und Daten fuhr Guimaraes fort, zum Fenster hinauszuschauen. Er schien nur darauf zu warten, daß DeLeon pflichtgetreu eine unangenehme Aufgabe erledigte, bei der Guimaraes ihn begleitete, weil er gerade nichts Besseres vorgehabt hatte. Haydon wunderte sich über seine plötzliche Geistesabwesenheit. Hatte dieser reiche und offensichtlich kluge Mann einen Stich vom Wahnsinn seines Neffen mitbekommen, war es ihm deshalb möglich, sich so blasiert zu verhalten angesichts einer Untersuchung, die ihn trotz der Versicherungen, die man ihm gegenüber gemacht hatte, mit Gewißheit in höchste Schwierigkeiten, wenn nicht zum Ruin führen würde? Dachte er darüber nach, wie er erst die anderen und zuletzt sich selbst zerstört hatte? Zeigte er auch nur einen Hauch von Bedauern, oder war er lediglich wütend auf sich selbst, weil man ihn erwischt hatte? Beschäftigte er sich überhaupt mit all diesen Fragen?
Haydon fand es höchst seltsam, daß weder Guimaraes noch DeLeon irgendwelche Fragen über den Mörder gestellt hatten, obwohl die Morde ihnen mehr als mysteriös vorgekommen sein mußten, als sie miterlebten, wie die brasilianischen Mädchen eines nach dem anderen gestorben waren. Aber vielleicht hatten die Nachrichten über ihren Tod nur oberflächlich ihr Interesse berührt, als ein absurder Zufall, mit dem sie nichts zu tun hatten? Vielleicht wußten sie gar nicht, um wie viele Todesfälle es sich tatsächlich handelte, oder vielleicht waren sie so sehr damit beschäftigt, ihre eigene Haut zu retten, daß ihnen der Tod von ein paar Mädchen aus den Slums keineswegs als wichtig erschien.
DeLeon diktierte weiter. Haydon unterbrach ihn von Zeit zu Zeit, um den einen oder anderen Punkt klären zu lassen. Es tat ihm jetzt schon leid, daß er sie in seinen Wagen gebeten hatte. Er würde sich stets an sie erinnern müssen, wenn er in den Wagen stieg – zwei Männer, die bis ganz nach oben gekommen waren. Es war gut, zu wissen, daß nicht nur die Creme nach oben stieg. Auch Wertloses wurde hochgetrieben, und es mußte abgeschöpft und vernichtet werden.
»Ich glaube, das ist es«, sagte DeLeon schließlich. »Zählen Sie.«
Hirsch blätterte zurück und zählte fünfzehn Namen. »Lassen Sie mich nachprüfen, der Sicherheit halber. Drei von ihnen befinden sich außerhalb dieses Staates und leben noch. Acht sind tot. Vier leben hier in Houston.«
»Das ist richtig.«
Hirsch reichte Haydon die Liste, der sie kurz durchblätterte. Er stellte dabei fest, daß zwei der Mädchen achtzehn waren, die anderen zwischen zwanzig und dreiundzwanzig.
»Das reicht für den Anfang«, sagte er und drehte sich um. »Wir melden uns wieder bei Ihnen und setzen die Diskussion zu gegebener Zeit fort.«
Hirsch ließ den Motor an, fuhr hinaus ins
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