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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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fühlte, daß Nina mit ihm sprechen wollte. Sie war nicht zufrieden damit, hier zu sitzen, noch einen Gin mit Zitrone zu trinken und noch einen und noch einen, bis ihre Gedanken so feucht und gesättigt waren wie die Nacht. Er dagegen wollte genau das, bis alles davongetrieben war und es keinen Unterschied mehr gab zwischen der Wirklichkeit und etwas, das er vielleicht träumte. Der Morgen würde überraschend kommen, ohne daß er auf ihn zu warten brauchte.
    Aber Nina liebte es nicht, die Kontrolle über sich zu verlieren. Ja, es war gerade ihre Beherrschung gewesen, die ihre Ehe so reich und erfüllt gemacht hatte. Leute, die sie beide kannten, hätten sie als vernünftige Menschen beurteilt, die sie beide auch waren. Aber die Vernunft war Ninas Seele; sie war so natürlich für sie wie ihre Sinnlichkeit, deren sie sich völlig bewußt war und die sie ganz beiläufig akzeptierte. Selbst ihre Leidenschaft war maßvoll, ein bewußter Appetit, und deshalb hatte Haydon nicht selten das Gefühl, daß sie eine weit tiefere, größere Dimension ihrer Liebe empfand als er. Sie ließ nichts in den Nebeln des Deliriums davontreiben, sondern genoß alles ganz bewußt und erreichte durch reine Konzentration eine fast metaphysische Erkenntnis, die auf ihn wie ein Aphrodisiakum wirkte. Ninas Vernunft war eine Gabe, ein seltenes Talent.
    Für Haydon dagegen war Vernunft eine Disziplin, die man ihm beigebracht hatte. Für ihn war sie der beste Weg zum Überleben, für das Durchs-Leben-kommen, aber sie fiel ihm nicht leicht, und es gab Zeiten, wo er sie völlig verneinte. Diese Zeiten – seine »schwarzen Perioden«, wenn er allem, was sein Leben zusammenhielt, den Rücken zukehrte – waren sein Fluch und sein bestgehütetes Geheimnis. Seines – und das von Nina.
    Sie hatte es zum erstenmal erlebt, nachdem sie schon zwei Jahre verheiratet gewesen waren. Sie hatten miteinander gestritten, daher täuschte sie sich über den Grund seines Verschwindens, hatte aber immerhin die Geistesgegenwart zu erklären, daß er einen Darmvirus erwischt habe, als sein Lieutenant anrief und fragte, warum Haydon nicht zum Dienst erschienen sei. Sie wollte nicht, daß ihre Streitigkeiten auch noch unter seinen Kollegen besprochen wurden. Als er auch nach dem zweiten Tag noch nicht zu Hause aufgetaucht war, wußte sie, daß etwas passiert sein mußte, und begann daran zu zweifeln, daß sein Verschwinden etwas mit ihrem Streit zu tun hatte.
    Haydon war schließlich um drei Uhr morgens nach Hause gekommen, über die Terrassentreppe, gefolgt von einem mitleidsvoll-mürrischen Cinco, der seinen Schwanz zwischen die Beine geklemmt hatte. Haydon war beim Versuch, die Tür zur Bibliothek zu öffnen, zusammengebrochen, und Nina, die sich schon zuvor gefaßt hatte, was seinen Anblick betraf, hatte ihn nach oben gebracht. Obwohl er noch seinen Anzug anhatte, mit gelockerter Krawatte, sah er aus wie ein Penner. Unrasiert, verschwitzt, schmutzig und wegen unerträglicher Kopfschmerzen laut stöhnend. Mager, eingefallen, nicht in der Lage, seinen Blick auf irgend etwas zu richten, lag er hilflos auf dem Bett, während sie ihn auszog, ihn mit einem feuchten Handtuch abrieb und ihm schließlich das kühle Laken bis an die Hüfte zog. Sie gab ihm eine doppelte Dosis Fiorinal und blieb bei ihm sitzen, bis die Wirkung einsetzte. Alles, was er sagen konnte, war: »Das geht niemand etwas an«, dann schlief er ein.
    Er schlief siebenundzwanzig Stunden ohne aufzuwachen. Nina war die ganze Zeit in seiner Nähe, rief den Arzt an, um sich zu erkundigen, ob es schlecht war, wenn er so lange schlief, und wartete. Er erwachte wie jeden Morgen um sechs und streckte die Arme nach ihr aus. Sie war bereits erwacht, als er sich zu bewegen begonnen hatte, und blickte ihn an. Als er sie sah, lächelte er mit seinen glänzenden Augen und strich mit seiner schmalen Hand über ihre nackte Brust bis zur Hüfte hinunter, wo er sie liegenließ.
    »Das mache ich manchmal«, hatte er einfach gesagt. »Es hat nichts mit uns zu tun.« Sein Mund war trocken nach dem Fieber, und er schluckte.
    »Manchmal?«
    »Selten«, hatte er gesagt.
    »Nicht, seit wir verheiratet sind.«
    »Kurz vorher.«
    »Und es wird wieder passieren?«
    »Ja.« Er schloß die Augen, öffnete sie dann wieder. »Aber danach ist alles in Ordnung. Ich brauche nur ein paar Wochen, um die verlorenen Pfunde wieder zu ersetzen.« Er versuchte jetzt mit dem Mund zu lächeln. »Ich habe Hunger wie ein Wolf.«
    Nina hatte etwas

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