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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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später Nachmittag, und er hatte drei Stunden lang Klinken geputzt. Als er zurückblickte, fiel die Sonne schräg durch die Palmen und die Pekanbäume in zerrissenen Flecken auf die Innenhöfe der rechteckigen Wohnanlage. Er hörte noch entfernt conjunto- Musik und roch noch den fettigen Gestank abgestandener Zwiebeln, der durch die verbeulten Fliegengittertüren ins Freie drang. Mit dem Foto des lateinamerikanischen Mädchens in der schweißfeuchten Hand hatte er sich von Wohnung zu Wohnung durchgearbeitet, hatte Babys und Hunde geweckt und Ehemänner, die sich tagsüber ausschliefen, bevor sie zur Nachtschicht mußten – bis er gefühlt hatte, daß ihn aus jedem dunklen Gang auf beiden Seiten des Hofes Augenpaare anstarrten. Niemand hatte zugegeben, das Mädchen zu kennen.
    Er schüttelte den Kopf und stieg in den Wagen. Das Lenkrad war noch zu heiß zum Anfassen, also nahm er sein Taschentuch heraus und drapierte es, nachdem er sich Stirn und Hände daran abgewischt hatte, um das Lenkrad. Er ließ den Motor an, wendete und fuhr in die Richtung der 69. Straße, der er bis zur Brücke über den Kanal folgte. An der Harbor Street bog er rechts ab und hielt dann einen Block vom Hidalgo Park entfernt an. Jetzt war er in der Nähe der Werften, wo man das Mädchen gefunden hatte.
    Hier wären die Häuser klein und aus Holz, mit abblätternden Pastellfarben und nackten Vorgärten, die von Maschendraht umgeben waren. Der Straßenschmutz war zu Staub zermahlen an den Rändern, wo der Rinnstein hätte sein sollen, und ein leichter Staubfilm bedeckte die ausgebleichten Farben der Autos, die vor den Häusern standen, riesige Kakerlaken im Schatten der Mesquitebäume. In vielen Gärten zeugten üppige Bananenstauden und blühender Oleander vom tropischen Klima, und Geranien und Kakteen blühten auf den schattigen Veranden.
    Hirsch parkte hinter der leeren Karosserie eines alten, radlosen Plymouth, der auf Holzblöcken aufgebockt war, dann starrte er die schmale Straße entlang. Eine Spottdrossel sang in einem Pyracanthusbusch, und im Hintergrund hörte man das rauhe Stöhnen der Hafenkräne, ein Geräusch, das man in der lastenden Hitze als besonders ärgerlich wahrnahm.
    Er zog die Schwarzweiß-Vergrößerung aus der Tasche und schaute sie an. Vanstratens Fotografen war es irgendwie gelungen ihr die Augen zu öffnen, so daß ihr Gesicht einen seltsam träumerischen Ausdruck erhielt, so, als ob sie tagträumte. Walther hatte recht gehabt; sie war wunderschön. Das hatte ihr der Tod nicht nehmen können. Wenn es sich um eine illegale Einwanderin handelte, wie er annahm, war sie eine von Tausenden, die über die mexikanische Grenze kamen, direkt in den großen Schmelztiegel des Barrios von Houston, wo sie die Anonymität suchten und fanden und den schweigenden Schutz aller mexikanischen Amerikaner genossen, die hier lebten. Auf diese Weise würde er sie nie finden; das wußte er ebensogut wie jeder Polizeibeamte, der sich jemals mit solchen Dingen beschäftigt hatte. Aber irgendwo mußte er anfangen.
    Er stieg aus dem Wagen und knallte die Tür zu. Der Kolben seines Smith & Wesson hatte einen handtellergroßen Schweißfleck an seinem verlängerten Rücken hervorgerufen, dort, wo er unter dem Schoß seiner Anzugjacke verborgen war. Er ging durch ein Holztor, das in den rostigen Angeln knarrte, auf das erste Haus zu. Der ganze Garten, ohne Gras und glattgefegt wie Keramikfliesen, wurde von einem halben Dutzend gekrümmter und magerer Mesquitebäume beschattet. Zu beiden Seiten eines ausgetretenen Pfades, der zur Haustür führte, blühten malvenfarbene Petunien.
    Hirsch ging zwischen Petunien hindurch und hinauf auf die Veranda. Am Rand des efeuüberwucherten Geländers wuchsen Tomatenpflanzen in Kaffeedosen, und aus den gefiederten grünen Blättern leuchteten die kleinen roten Früchte wie die Kirschen auf den Stechpalmen, mit denen man sich zu Weihnachten das Haus dekoriert. Plötzlich ertönte von der dunklen Seite der Veranda ein betäubendes, durchdringendes Pfeifen, und Hirsch brach der Schweiß aus, als hätte man einen nassen Schwamm über ihm ausgedrückt. Er wirbelte herum, seine Augen versuchten, das Dunkel zu durchdringen, und sein Verstand wollte das Geräusch, die Gefahr interpretieren. Adrenalin wurde in seine Adern gepumpt, als ein zweiter Schrei durch die Nachmittagshitze schnitt.
    Dann sah er den Myna-Vogel. Er hüpfte vor und zurück in der Art von Mick Jagger, in einem Käfig, der dort herunterhing, stieß den

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