Kalter Amok
unten, auf der anderen Seite, ist ein Haus mit drei Palmen davor, alte Bäume. Das Haus ist ein bißchen versteckt hinter Geißblattranken. Vorne ist ein Wohnzimmer wie dieses. Ich habe das Mädchen gesehen, in diesem Wohnzimmer. Sie und die anderen. Alle jung. Sie kommen hin und sehen aus, wie arme Mädchen aussehen, die aus Mexiko kommen. Einfach gekleidet. Enttäuscht und gedemütigt vom neuen Leben. Sie bleiben nicht lang, vielleicht eine Woche, dann verschwinden sie, und ich sehe sie nicht wieder. Das ist alles.«
Sie zupfte die Haut von einer Orangenspalte und aß.
»Sie sagten, sie hätten mit ihr geredet.«
»In der Hendrock Street; bei den Eisenbahngleisen, ist ein Waschsalon, gleich an der Kreuzung Navigation Street. Da kommt die ganze Nachbarschaft hin. Ich habe sie dort gesehen, und wir haben miteinander geredet. Nur so. Mehr war nicht zu erwarten, obwohl ich neugierig war.« Sie grinste. »Es ist vielleicht ein Laster, aber ich bin eine neugierige Frau. Sie war höflich, schaute aber immer auf einen Mann, der auf einem grünen Stuhl saß. Der Mann hat ein Pornomagazin angeschaut. Ich glaube, sie war ihm irgendwie verpflichtet.«
»Wie oft haben Sie sie dort gesehen?«
»Vielleicht dreimal. Sie hat gesagt, daß sie neu ist in den Staaten. Sie wollte sich einen guten Job besorgen, und ein paar Leute würden ihr dabei helfen. Das war schon alles. Nur noch, daß sie aus El Salvador war. Ich hab’ ihr gezeigt, was für ein Waschpulver man verwendet und wie der Trockner funktioniert. Sie hat auch Männerkleidung gewaschen. Dreckarbeit. Wahrscheinlich für den Kerl mit den Pornomagazinen.«
Hirsch trank wieder einen kleinen Schluck Tee. »Wer wohnt in dem Haus?«
»Ich weiß nicht. Früher haben die Ramirez’ dort gewohnt, aber die sind vor ein paar Jahren ausgezogen.«
»Haben Sie mit einem der anderen Mädchen gesprochen?«
»Ich hab’ es versucht, mehrmals. Ich hab’ sie nur im Waschsalon und nachts durch die Fenster gesehen.«
»Sie haben es versucht?«
»Ja. Sie haben so ein komisches Spanisch gesprochen. Kein Englisch. Es war nicht leicht. Ich wollte nur, daß sie Wörter wie ›Seife‹, ›Waschpulver‹, ›heiß‹, ›Baumwolle‹ und ›Nylon‹ verstehen. Sie verstehen schon, was man beim Waschen wissen muß.«
»War denn immer derselbe Mann bei ihnen?«
»Manchmal war es auch jemand anders.«
»Haben Ihre Bekannten in der Nachbarschaft über die Mädchen geredet, die dort kommen und gehen?«
»Klar. Zuerst haben wir befürchtet, daß die Huren von den Docks hierherziehen. Das hat keinem gepaßt, aber niemand wollte etwas sagen. Die Leute, die mit den Mädchen bei den Docks arbeiten, sind ziemlich gemein.«
»Aber Sie glauben nicht, daß es Prostituierte waren?«
»Ich weiß es nicht. Sie sind mir vorgekommen wie recht nette Mädchen. Es hat nie irgendwelche Partys dort gegeben. Sie benahmen sich auch nicht wie Huren.«
»Was haben die Mädchen gemacht, wenn Sie sie durch die Fenster beobachtet haben?«
»Nichts. Ferngesehen.«
»Wie lange geht das nun schon mit diesem Haus?«
»Sechs oder sieben Monate vielleicht. So ungefähr, ja.«
»Und wann haben Sie dieses Mädchen hier zuletzt gesehen?«
Die Frau spuckte drei Orangenkerne in ihre Handfläche, dann schloß sie ein Auge.
»Vor ein paar Monaten.«
»Wieviele verschiedene Mädchen haben Sie gesehen, seit Sie das Haus beobachten?«
»Das ist schwer zu sagen.« Sie ließ den Kopf in den Nacken fallen, überlegte und kaute. Hirsch sah an ihrem Hals, wie sie den Saft aus der nächsten Orangenspalte schluckte und anschließend das Fruchtfleisch aß. Danach richtete sie den Kopf wieder geradeaus und schaute ihn an. »Ungefähr ein Dutzend.«
»Ein Dutzend?«
»Ja, so ungefähr. Zwölf. Das dürfte hinkommen.«
»Und wieviele sind gleichzeitig dort?«
»Normalerweise zwei. Aber nie mehr als drei.«
»Und Sie kennen von keiner den Namen?«
»Doch, sicher. Diese hübsche – «, sie deutete auf das Foto, »– ist Petra Torres. Sie ist die einzige, von der ich auch den Familiennamen kenne. Ich erinnere mich an eine Lydia, eine Lilia, eine Soyla. Mal sehen… Hm. Eine hieß Cecilia. An andere Namen erinnere ich mich nicht.«
Hirsch hatte schon eine ganze Weile sein Notizbuch vor sich liegen und machte sich Notizen. Die Frau sprach langsamer, wenn sie merkte, daß er nicht mitkam. Ihre Hilfe war natürlich, nicht gezwungen. Sie zögerte nicht, ihm alle Details zu berichten.
Er blätterte ein paar Seiten zurück,
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