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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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gar keinen anderen Ausweg.
    * * *
     
    Sie trafen sich in der Bienerstraße, in der Kanzlei »Reuss, Kranebitter & Meier«. Eine junge Frau in engem Rock öffnete ihr die Tür und führte sie zum Besprechungszimmer. Schwarzenbacher war schon da. Das hatte Marielle freilich schon bemerkt; sein Rollstuhl stand am Fuß der Treppe, die zum Eingang hinaufführte.
    »Hi, Mädchen«, sagte er und meinte Marielle damit. Die Anwaltsgehilfin fühlte sich auch gar nicht angesprochen. Sie wartete diskret im Hintergrund, bis die Begrüßung der beiden beendet war, und fragte dann, ob auch Marielle einen Kaffee wolle. Die schüttelte den Kopf und bat um ein Glas Mineralwasser.
    »Sofort«, sagte die Frau. »Herr Dr. Reuss wird auch gleich hier sein.« Und damit verschwand sie.
    Als sie draußen war, sagte Schwarzenbacher: »Nun bin ich aber gespannt, was der Grund ist für dieses so schnelle Treffen. Irgendwas muss dich ja enorm durcheinandergebracht haben, wenn es gar so eilig ist.«
    Marielle holte die zusammengerollte Zeitung aus der Jackentasche und legte sie vor Schwarzenbacher auf den Tisch. »Schau dir mal den Tirolteil an …«
    Doch in diesem Moment betrat Reuss das Besprechungszimmer, in Anzughose, mit weißem Hemd, Fliege in königsblauem und silbernem Karomuster und einer dunkelgrauen Weste. Er ging mit großen Schritten auf Marielle zu, drückte sie kurz, bat sie, Platz zu behalten, und nickte Schwarzenbacher zu.
    »Wenn Paul schon guten Willens ist«, fing er an, »sich nun öfter mal hierherzubequemen, dann schlage ich vor, dass wir die Kanzlei gleich zu unserem Hauptquartier machen. Einverstanden?«
    Marielle und Paul sahen sich kurz an, nickten dann beide. Es sprach in der Tat nichts dagegen.
    »Und jetzt klärt mich auf, meine Zeit ist leider knapp: Was führt uns heute zusammen?«
    Marielle deutete auf die Zeitung, Schwarzenbacher begann zu blättern, Reuss stand noch immer, nun mit auf eine Stuhllehne gestützten Armen. Als Marielle bemerkte, dass Schwarzenbacher den Artikel überblättert hatte, nahm sie ihm die Zeitung weg. Sie suchte einen Moment lang, deutete mit dem Finger darauf, sagte: »Hier«, und begann auch sofort, den ganzen Text vorzulesen.
    »Hört zu: ›Berghütte im Karwendel aufgebrochen‹ – das ist die Überschrift. Darunter steht ›Nichts entwendet – Vermutlich hat Obdachloser Unterschlupf gesucht‹. Und dann kommt der Bericht.«
    »Da bin ich ja mal gespannt«, sagte Reuss.
    »Hört zu«, sagte Marielle noch einmal. »›Scharnitz – Wie Waldarbeiter dieser Tage erst entdeckten, ist die Huchenhütte bei Scharnitz im Verlauf des ausklingenden Winters aufgebrochen und als Quartier von unbekannt genutzt worden. Der oder die Eindringlinge hatten sich zunächst Zugang zu einem Geräteschuppen verschafft. Dort sind sie auf die Schlüssel für das Haupthaus gestoßen, die leichtsinnigerweise hier deponiert waren. Mit diesen Schlüsseln konnte die Huchenhütte – das bekannte Jagdhaus im vorderen Drittel des Gleirschtales (Karwendel) – ohne Gewaltanwendung geöffnet werden. Gendarmerie und Jagdpächter vermuten, dass sich ein Obdachloser hier kurzzeitig eingenistet hatte. Bodo R., der Pächter der Jagd, zeigte sich entrüstet über den Einbruch, musste aber auch einräumen, dass offenbar nichts entwendet worden ist. Lediglich eines der Betten sei benutzt worden, mehrere Decken seien wohl verwendet worden, aber anscheinend war nicht einmal der Ofen angemacht worden. R. hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Im Gespräch mit der TT sagte er: ›Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass der oder die Eindringlinge gefasst werden. Aber es gibt einem schon zu denken, dass heutzutag auch vor einer Jagdhütte nicht zurückgeschreckt wird. Früher hat man gedacht, dass in den Bergen die Welt noch in Ordnung sei. Aber jetzt laufen auch hier lauter Verbrecher herum.‹
    Auf die Frage, ob ihm irgendetwas Besonderes aufgefallen sei, gab R. zur Antwort, dass ihm nichts absonderlich vorkomme, bis auf …«
    Marielle machte eine kleine Pause, sah zu Schwarzenbacher und zu Reuss, sagte: »Und jetzt passt auf«, und fuhr dann fort: »… ›bis auf das, dass der Kerl – denn ich vermute, es war ein Kerl – einen großen Stein in das Bett gelegt hat. Aber sonst ist nichts beschädigt oder zerstört worden, sieht man einmal ab vom Einbruch in den Schuppen.‹«
    Marielle ließ die Zeitung sinken. Es war still im Besprechungsraum der Kanzlei. Die beiden Männer schienen damit beschäftigt zu sein,

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