Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
ihre nackte Haut berührte. Doch, die Idee war gar nicht so schlecht. Ihr Mund fand seinen Mund. Seine Lippen waren überraschend weich, sein Haar fühlte sich seidig an. Die bislang eher aggressiven Gefühle ihm gegenüber verwandelten sich in Erregung. Zum Teufel mit der Vernunft: Sex war die ultimative Ablenkung von der eigenen Sterblichkeit, die ihr heute erschreckend bewusst geworden war.
Es war wie ein Rausch. Ihre Kleidungsstücke landeten nacheinander auf dem Fußboden des Hotelzimmers. Das Hotelbett knarrte bei jeder ihrer Bewegungen, aber Pia registrierte es kaum. Während sie miteinander schliefen, trat alles um sie herum für kurze Zeit in den Hintergrund: das Hotel, das gottverlassene Dorf, die Mörderjagd und ... der Tod.
Danach lagen sie noch eine Weile dicht beieinander. Pia fühlte sich leicht und wieder völlig klar. Die Anspannung der letzten Tage hatte sich in diesem einen Akt aufgelöst. Im Dunkeln spürte sie Martens Blick auf sich gerichtet. Sie fühlte die Wärme, die Marten ausstrahlte, und wusste, dass er morgen schon wieder wie durch eine Wand aus Panzerglas von ihr getrennt sein würde. Pia wollte diesen Moment der Nähe noch eine kleine Weile festhalten, aber er entglitt ihr. Marten strich ihr mit einem Finger die Wirbelsäule herunter, Wirbel für Wirbel.
»Warum? Das macht alles nur unnötig kompliziert.«
»Einer Frau, die ihr Essen so scharf isst, konnte ich unmöglich widerstehen.«
»Ich dachte, du könntest mich nicht ausstehen.«
»Dito. Hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt, dass du eine außergewöhnliche Frau bist, Pia?«
»Außergewöhnlich was? Außergewöhnlich sonderbar?«
»Du suchst auch immer die Konfrontation. Es war ein Kompliment.«
Er strich ihr das Haar, das sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, aus dem Gesicht. Die Geste berührte etwas in ihr. Sie wollte nicht an den nächsten Morgen denken. Diese Nacht war außerhalb der normalen Zeit. Ein Schutzraum, den das erste Morgenlicht zerstören würde. Sie streichelte Martens warme, verschwitzte Haut. Dann ertasteten ihre Finger die feinen Erhebungen einer Narbe, die von seinem Schlüsselbein bis hoch zu seinem Hals verlief.
»Nicht dort.« Er griff nach ihrem Handgelenk.
»Tut das weh? Es scheint doch gut verheilt zu sein?«
Pia merkte an seiner Reaktion, dass sie sich an einen Grenzbereich heranwagte, der über die Intimität von gemeinsamem Sex hinausging.
»Das sieht nur so aus, es nervt ganz schön ...«
»Was ist denn passiert? Woher hast du die?«
»Kennst du die Geschichte etwa nicht? Das war doch tagelang Gesprächsthema Nummer eins im ganzen Polizeihochhaus«, sagte er bitter.
»Du vergisst, dass ich noch nicht lange bei euch bin. Außerdem erzählt mir doch keiner was ...«
»Es war kein Unfall. Willst du die idiotische Geschichte wirklich hören?«
»Ja.«
Er zögerte einen Moment, suchte offenbar die richtigen Worte. Als er nach einer Pause sprach, klang er völlig nüchtern: »Ich habe den Tod gesehen. Es hat mich verändert – alles verändert ...«
Pia schwieg. Sie spürte, dass es Marten äußerste Überwindung kostete, davon zu sprechen.
»Es war ein ganz normaler Dienstag. An dem betreffenden Vormittag war ich mit einem älteren Kollegen unterwegs. Burkhard Möller, ein guter Typ, du kennst ihn wahrscheinlich nicht. Wir wollten einen Kneipenwirt verhaften, den wir schon seit längerem beobachtet hatten. Wir erwarteten keinen ernsthaften Widerstand. Der Mann war allein in seiner Kneipe. Wir hatten gesehen, wie er um halb elf Uhr vormittags seine Tür aufschloss und hineinging. Burkhard Möller plädierte dafür, zu warten, bis Verstärkung eintreffen würde. Der Typ, auf den wir aus waren, war kein unbeschriebenes Blatt. Ich wollte nicht so viel Aufheben von der Sache machen. Der Mann war allein und das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Ich drängte zum Handeln.
Vielleicht wollte ich auch endlich Ergebnisse vorweisen können. Ich argumentierte mit ›Verdunkelungsgefahr‹. Schließlich hatte der Mann all seine Papiere im Hinterzimmer seiner Kneipe und konnte ein lustiges Freudenfeuer entfachen, während wir vor seiner Tür standen und debattierten. Ich war dem Kerl schon zu lange auf der Spur, als dass ich riskieren wollte, zu spät zu kommen.
Wir verschafften uns also Zutritt. Ich verhaftete unseren Verdächtigen, während Burkhard sich etwas im Hintergrund hielt. Was ich nicht bedacht hatte, war, dass die Kneipe noch einen Hintereingang hatte: ein klassischer
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