Kalter Schlaf - Roman
In der Diele sah Kate auf die Standuhr – 23:10 Uhr. Sie spürte den Drang, in der Nähe des Telefons auszuharren, um den Hörer gleich nach dem ersten Klingeln abnehmen zu können. Sie wusste, dass es noch stundenlang dauern konnte, bis ein Anruf kam, und ging in die Küche zurück. Phyllis sah mit sorgenvoller Miene auf, als sie hereinkam, sagte aber nichts.
Kate holte ihr Notizbuch heraus und setzte sich ans Kopfende des inzwischen abgedeckten Tischs. Wo sollte sie anfangen? Bis ihr jemand das Gegenteil bewies, würde sie annehmen, Chelseys Verschwinden hänge mit den Ermittlungen der KUF zusammen. Ein bisschen jung, aber ansonsten waren die Parallelen unübersehbar. Das dunkelblonde Haar, lang und üppig. Chelsey war groß für ihr Alter, über zehn Zentimeter größer als Maisie. Aber hinter ihrer Entführung musste noch mehr stecken. Kate schlug das Notizbuch auf und blätterte wahllos darin.
Die erste Zeile, die ihr ins Auge fiel, betraf die Frage, wen Colley im Einkaufszentrum Touchwood gesehen hatte, bevor er »schleunigst« abgehauen war. Kate dachte an ihren nachmittäglichen Besuch bei Brannigan zurück. Sie suchte seine Nummer heraus, ging wieder in die Diele und rief den Fotografen an.
»Mr. Brannigan? Hier ist noch mal Kate Hanson.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Entschuldigen Sie, ich habe eben erst gemerkt, wie spät es schon ist …«
»Kein Problem. Ich sitze vor dem Fernseher.«
»Erinnern Sie sich, dass Sie mir erzählt haben, dass ein großer, blonder Polizeibeamter in Zivil gemeinsam mit einem Wachmann einen verwahrlost wirkenden Mann kontrolliert hat?«
»Ja.«
»War das der Kriminalbeamte, der einige Zeit nach Molly James’ Entführung bei Ihnen war, um Sie als Zeugen zu befragen?«
»Nein. Das war ein anderer.«
Kate war enttäuscht.
»Den mit dem Wachmann habe ich, wie schon gesagt, nur dieses eine Mal gesehen.«
»Erzählen Sie mir noch mal, was er dort getan hat?«
»Er war mit vielen anderen Polizeibeamten zusammen, uniformiert, in Zivil. Er war bei denen, die Fotos gemacht und Teile der Passage abgesperrt haben …«
»Danke, Mr. Brannigan«, sagte Kate mit schwacher Stimme.
Sie legte den Hörer auf, starrte sekundenlang vor sich hin und ging dann in die Küche zurück. Zu ihrem Notizbuch. Ihr Blick glitt über das Geschriebene hinweg. Kühlraum. Sie dachte an jenen Tag zurück. Wer hatte gewusst, dass sie unten im Kühlraum war? Bernie. Joe. Whittaker. Sie hob ruckartig den Kopf. Matt Prentiss. Er hatte am Empfang gestanden, als sie den Schlüssel verlangt hatte. Kate riss hinten aus dem Notizbuch ein Blatt heraus und machte sich daran, eine Liste zu erstellen. Danach blätterte sie weiter in ihren Notizen.
Eine der Frauen hatte erwähnt, der Vergewaltiger habe in einer kalten Nacht glatte, warme Hände gehabt. Kate hob den Kopf, schloss kurz die Augen. Sie spürte Connies Hände auf ihren Schultern, als die Pathologin demonstriert hatte, wie der Täter Jody Westbrooke gepackt haben musste. Connies Hände, glatt und warm. Nahm sie diese Kleinigkeit allzu wichtig? Ließ die Tatsache, dass der Täter vielleicht Latexhandschuhe getragen hatte, den Schluss zu, er verstehe etwas von Spurensicherung? Kate schüttelte den Kopf. Wer verstand heutzutage nichts davon? Wir leben im CSI -Land.
Sie las weiter. Die bei den sterblichen Überresten Janines und Mollys gefundenen Kartonstücke. Die Fotos auf dem Tableau, das um Jodys Leichnam herum aufgebaut war. Das alles bedeutete dem Mörder etwas – sonst hätte er sich die Mühe nicht gemacht. Aber was? Kate zerriss ein weiteres Blatt aus ihrem Notizbuch in drei Teile, kritzelte Wörter darauf, stützte den Kopf in die Hände und starrte sie nacheinander an. Nichts. Sie ordnete die drei Rechtecke anders an. Hatten die Kartonstücke und die Aufbahrung etwas zu bedeuten, hatten sie vielleicht auch eine Bedeutung im Verhältnis zueinander. Kate las nochmals, was sie auf den Papierstücken notiert hatte:
Rote Flecken (Muster?) auf weißem Karton.
Zwei schwarze Kreise, Strich nach unten.
Feuerwerk.
Während sie die Papierrechtecke anstarrte, begannen die Wörter sich vor ihren Augen zu verschieben. Wie wär’s zum Beispiel mit:
Null-Null. Rot. Feuerwerk.
Oder anders:
Feuerwerk. Null-Null. Rot.
Nein!
Rot. Null-Null. Feuerwerk.
Nun folgte alles so rasch aufeinander, dass Kate spürte, wie eine Hitzewelle durch sie hindurchschoss und sie plötzlich Schweißperlen auf der Stirn hatte. Ihre erste Anordnung war richtig
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