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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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    Besser, man hatte nichts zu verlieren.
    So hatte ich es schon immer gehalten. Abgesehen von den Waffen, dem Dach über meinem Kopf und ein paar vergänglichen Besitztümern gab es nichts, woran ich hing. Freunde, Verwandte und Kinder waren nur etwas für Menschen, die ein Gespräch länger als zehn Minuten führen konnten, ohne ihr Gegenüber niederschlagen zu wollen, Menschen, die mit Smalltalk und Netzwerken zurechtkamen und immer das taten, was in zwischenmenschlichen Situationen gefragt war.
    Als ich die dritte Zigarette geraucht hatte, stellte ich mein Handy wieder an, um mich bei Laune zu halten. Ich ließ mich tief in den Sitz rutschen, legte die Füße aufs Armaturenbrett und scrollte durch die Textnachrichten.
    Die Schrift auf meiner Hand war immer noch zu sehen.
    Wer ist K?
    Als ich wieder an die Fotos und das Blut dachte, war ich mir fast sicher, dass Emmas Leiche transportiert worden war.
    Das Handy begann zu vibrieren, und ich ging dran, weil es zu nervig war, es länger zu ignorieren.
    »Hey, ich bin’s.«
    »Ja, ich weiß.« Ich schloss die Augen, als ich den harschen Cockney-Akzent meiner Schwester hörte. »Was willst du, Harriet?«
    »Ähm, du musst mir einen Gefallen tun …«
    »Wieso wundert mich das nicht?«
    »Mir geht’s nicht so gut. Hatte Ärger und wurde rausgeworfen und … Ich brauch ein bisschen Geld. Nur ein kleines bisschen; gebe ich dir auch zurück, versprochen. Sobald ich einen neuen Job hab.«
    Es war fast schon komisch, die Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit ihrer Anrufe.
    »Warum wurdest du rausgeworfen?«, wollte ich wissen.
    »War nicht meine Schuld.«
    »Ist es nie.« Ich rieb mir die Augen. »Was ist denn mit den letzten fünfhundert passiert, die ich dir gegeben habe?«
    Sie zögerte. Was mir am meisten gegen den Strich ging, war, dass sie sich nicht mal die Mühe machte, überzeugend zu klingen. Wie andere Abhängige, die ich kennengelernt hatte, sprach nicht sie selbst aus sich; alles, was sie von sich gab, waren Phrasen, die sie bei jedem x-Beliebigen einsetzte, um das zu bekommen, was sie haben wollte. Wenn die eine nicht zog, versuchte sie es mit der nächsten.
    »Ähm … also, ich musste ein paar Schulden zurückzahlen und …«
    »Erzähl keinen Scheiß, das Geld hat doch dein verfickter Dealer.«
    Schweigen.
    »Ich brauch nur ein paar hundert, damit ich meine Schulden zurückzahlen kann und die Miete, dann bin ich damit durch, versprochen. Ach, komm, ist ja nicht so, als ob du es nötig hättest!«
    In weniger als einer Minute war es ihr gelungen, von Selbstmitleid auf Ausreden und dann auf Anklagen umzustellen. Wie jedes Mal hatte ich die Möglichkeit, ihr zu sagen, sie solle sich verpissen und es selbst in Ordnung bringen, doch schon bei der bloßen Vorstellung wusste ich, dass ich das niemals tun würde. Manchmal hasste ich sie, inzwischen sogar meistens, aber nicht annähernd so sehr, wie ich mich selbst hasste, weil ich ihr das Geld gab.
    »Jaja, du brauchst immer ein paar hundert Pfund, um damit durch zu sein, nicht?«, sagte ich. »Es wäre mal nett, zur Abwechslung ein Versprechen von dir zu hören, das du auch halten kannst.«
    »Ach, bitte, ich muss diesen Typen echt bezahlen, und ich weiß nicht, zu wem ich sonst gehen soll …«
    »Okay, Harriet, okay .« Ich wollte nur noch, dass das Gespräch vorbei war. »Wie viel willst du? Zweihundert?«
    »Ähm, gehen auch drei?«
    Ich schüttelte den Kopf, meine Hände umkrampften das Lenkrad. »Gut, dreihundert. Kannst du dir bei mir abholen, ich werde kein Spritgeld für dich verschleudern.«
    »Danke, Nic, ich verspreche dir …«
    »Hör auf!«
    Ich beendete das Gespräch. Unsere Eltern gaben ihr ebenfalls Geld, es betraf also nicht nur mich, aber deswegen fühlte ich mich nicht gerade besser. Manchmal ertappte ich mich bei dem Wunsch, unsere Kindheit wäre schwerer gewesen, von klein auf traumatischer. Ich wünschte mir, Dad wäre strenger gewesen oder Mum hätte getrunken, dass einer von ihnen etwas getan hätte, was uns von der Verantwortung dafür entband, so wenig aus unserem Leben gemacht zu haben. Es war nicht ihre Schuld, überhaupt nicht, und genau das war das Problem.
    Tony war der Einzige, der sich weigerte zu zahlen. Ich wusste, dass Harriet schon vor Jahren aufgehört hatte, ihn anzubetteln, lange bevor er nach Afghanistan ging. Sie hatte sich nicht mehr mit ihm getroffen, weil er ohne Nutzen für sie war, und ungefähr zur gleichen Zeit hatte auch ich begonnen, ihm aus dem Weg zu gehen.

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