Kalter Süden
war diejenige, die in dieser Familie das Geld verdient hat.«
»Und was war mit Sebastian?«, fragte Annika und hielt den Atem an.
Vibeke schüttelte den Kopf.
»Sie muss ja wirklich gut verdient haben«, sagte Annika und dachte an das riesige Haus.
Im selben Moment klingelte ihr Handy. Eine Nummer, die sie nicht kannte. Sie entschuldigte sich und antwortete.
»Annika Bengtzon?«, sagte eine unbekannte Frauenstimme. »Sie haben mir gemailt. Worum geht es?«
»Äh«, sagte Annika, »jetzt müssen Sie mir auf die Sprünge helfen …«
»Über Facebook. Lenita.«
Lenita Söderström, du lieber Himmel!
»Ja, genau«, sagte Annika und ging ein paar Schritte Richtung Parkplatz. »Gut, dass Sie zurückrufen. Ich arbeite als Journalistin für das Abendblatt und würde Ihnen und Suzette gerne einige Fragen zu den Ereignissen in Marbella stellen …«
»Darüber weiß ich nichts«, sagte Lenita. »Mich informiert ja keiner. Man könnte meinen, dass ich davon hätte erfahren sollen, immerhin war ich ja mal mit dem Kerl verheiratet.«
»Das muss ein schrecklicher Schock gewesen sein«, sagte Annika mitfühlend.
»Das können Sie laut sagen«, erwiderte Lenita Söderström. »Ein Glück, dass Suzette schon weg war, wer weiß, was sonst noch passiert wäre.«
»Wie hat sie auf die Ereignisse reagiert?«
»Tja«, sagte Lenita Söderström, »man könnte wohl wirklich erwarten, dass sie wenigstens mal an ihr Handy geht, aber das ist natürlich zu viel verlangt. Wahrscheinlich hat sie einfach keine Lust, es aufzuladen, wie immer.«
Annika sah hinüber zum Reitplatz. Das Mädchen mit den glänzenden Stiefeln sprang mit ihrem schönen Vollblut gerade über eine Kombination.
»Sie haben also seit dem Todesfall nicht mehr mit Ihrer Tochter gesprochen?«
»Wie denn? Sie ist ja in Spanien, und sie geht nicht an ihr Handy. Und von dieser Jensen habe ich keine Nummer.«
Annika sah der schmalen Dänin nach, die langsam auf dem Rückweg in ihr Büro war.
»Vibeke Jensen?«, sagte sie. »Wieso … Was hat sie denn damit zu tun?«
»Suzette wohnt dort. Sie hat es nicht mehr ausgehalten bei dieser Hexe, also dieser Veronica, deshalb ist sie zu ihrer Arbeitgeberin gezogen.«
In Annikas Kopf stand alles still. Carita starrte sie eindringlich an.
»Wollen Sie damit sagen, dass Suzette bei Vibeke Jensen wohnt, der dänischen Besitzerin des Reitstalls Cancelada Club?«
»Sie hat mich einen Tag vor Silvester angerufen und gesagt, dass sie zu dieser Frau zieht, der der Reitstall gehört. Mir ist egal, wo sie wohnt, solange sie in der Spur bleibt und nichts anstellt.«
»Einen Tag vor Silvester«, wiederholte Annika. »Das war doch der Donnerstag, oder?«
»Wer nicht lernen will, muss arbeiten, hab ich ihr gesagt. Sie soll bloß nicht denken, sie könnte mir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf der Tasche liegen.«
Annika ging jetzt mit großen Schritten auf das Büro des Reitvereins zu.
»Können Sie einen Moment dranbleiben?«, sagte sie. »Es gibt hier jemanden, mit dem Sie reden sollten …«
Sie öffnete die Bürotür. Vibeke Jensen sah sie verwundert an.
»Lenita Söderström«, erklärte Annika und hielt ihr das Telefon hin. »Sie glaubt, dass Suzette bei Ihnen wohnt.«
Die Suchmannschaften versammelten sich in der Dämmerung. Sie starteten von einem ausgetrockneten Flussbett gleich hinter Las Estrellas de Marbella, wo die Familie gewohnt hatte. Das Blaulicht der Polizeiwagen strich über verwilderte Oleanderbüsche und tote Olivenbäume. Wie Schatten bewegten sich die Leute zwischen den Fahrzeugen, und ein Mann mit zahlreichen Reflektoren an der Jacke dirigierte die Silhouetten in unterschiedliche Richtungen.
Annika saß neben Niklas Linde in seinem großen BMW und beobachtete die Szene. Sie hatte Glück, dass sie hier sein durfte. Sie hatte dem Polizisten eine Bedingung gestellt: Wenn sie ihm berichtete, was sie über Suzette wusste, musste er dafür sorgen, dass sie bei der Suchaktion dabei sein konnte. Niklas Linde hatte nichts dagegen gehabt.
Sie hatten auf einer Anhöhe oberhalb des Flusslaufs angehalten. Annika nahm die Kamera aus der Tasche und öffnete die Autotür. Mit der Tür als Stativ machte sie einige Bilder mit langer Belichtungszeit. Sie konnte die Stimmen und Signaltöne aus den Funkgeräten der Suchmannschaften hören.
»Ob sie wohl heute Nacht noch fündig werden?«, fragte Annika.
»Sie müssen auf jeden Fall suchen«, sagte Niklas Linde.
»Suzette ist jetzt seit sechs Tagen verschwunden«,
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