Kalter Süden
Hörer.
»Bis morgen«, sagte sie und beendete das Gespräch.
Er würde da sein. Sie würde ihn treffen. Er hatte ihr angeboten, sie vom Flughafen abzuholen. Vielleicht würde er sie wieder küssen.
»Erde an Annika«, rief Berit und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Mit wem hast du da gerade gesprochen?«
Annika räusperte sich und kramte hektisch in ihren Papieren.
»Mit einem Polizisten in Málaga«, antwortete sie.
»Knut Garen?«, fragte Berit verwundert.
»Nein«, sagte Annika. »Sein schwedischer Kollege.«
Berit sah sie forschend über ihre Brille hinweg an.
»Polizisten sind meistens gut im Bett«, sagte sie. »Das hat mit ihrer Männlichkeit zu tun, die hat irgendwie so was Selbstverständliches. Das gilt auch für höhere Militärs.«
Annika merkte, wie ihr die Kinnlade herunterfiel.
»Nur so als kleiner Tipp«, sagte Berit und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu.
Annika schrieb einen Artikel über einen Mann, der ein Fahrrad vergewaltigt hatte, eine Kurzmeldung über eine englische Wundercreme gegen Falten, die jetzt auch in Schweden verkauft wurde, und zum Schluss führte sie ein kurzes Telefoninterview mit dem ehemaligen Spitzenmanager eines börsennotierten Unternehmens, den der Oberste Gerichtshof soeben vom Vorwurf der massiven Steuerhinterziehung freigesprochen hatte.
»Das bestätigt doch genau, was ich schon die ganze Zeit gesagt habe«, donnerte der alte Manager. »Ich bin vollkommen unschuldig! Das Urteil beweist meine Unschuld!«
»Na ja«, meinte Annika, »das tut es eigentlich nicht. Es besagt nur, dass die Beweise nicht für eine Verurteilung ausgereicht haben. Das ist ein großer Unterschied.«
Zu Mittag aß sie ein Baguette mit Camembert und Schinken und trank zwei Becher Kaffee aus der Espressomaschine, die Berit und sie gekauft hatten.
Sie ging dem Gerücht nach, dass ein bekannter Fernsehpromi seine Freundin verprügelt habe. Sowohl die Freundin als auch der Fernsehpromi dementierten energisch. Annika zog daraus den Schluss, dass das Gerücht der Wahrheit entsprach, ließ die Sache aber fallen.
Ein Geldtransporter war auf dem Sveavägen im Zentrum von Stockholm ausgeraubt worden.
Eine Vierzehnjährige hatte ihren Trainer wegen Vergewaltigung angezeigt.
Ein berühmter Hochspringer hatte sich boshaft über einen berühmten Weitspringer geäußert, was der Weitsprungstar nun mit einer noch böseren Gemeinheit beantwortete.
Letzteres schien das absolut Wichtigste zu sein, was an diesem Tag passiert war, denn es nahm enormen Raum in der Onlineausgabe ein. Die Leute durften Kommentare schreiben und ihre Meinung zu diesem »Krieg der Sterne« kundtun, sie konnten Kästchen ankreuzen und abstimmen, wer von beiden recht hatte, sie konnten ihre besten Fotos der Stars hochladen und Vorschläge machen, welchen anderen Sportidolen man mal gehörig die Meinung sagen sollte.
Nachdem Patrik in die Redaktionskonferenz verschwunden war und ihr für eine Weile keine weiteren Zettel auf den Tisch knallen konnte, nutzte Annika die Gelegenheit, mehr über Geldwäsche an der spanischen Sonnenküste nachzulesen.
Sie fand einen frischen Artikel aus einer der Morgenzeitungen im Archiv. Er handelte von der »Operation Beluga«, die als Spaniens bisher größte Polizeiaktion gegen internationale Geldwäsche und Mafiabanden beschrieben wurde. Nach anderthalb Jahren des Ermittelns und Abhörens hatte die Polizei in mehreren Orten an der Costa del Sol zugeschlagen, hieß es in dem Artikel. Über vierzig Personen waren festgenommen worden: Spanier, Marokkaner, Russen, Ukrainer, Franzosen und Finnen. Sieben von ihnen waren Rechtsanwälte, drei Notare. Eine russische Ölfirma war auch beteiligt. Man hatte zweihunderteinundfünfzig Wohnungen und Häuser beschlagnahmt, zweiundvierzig Luxuswagen, zwei Flugzeuge, eine Luxusyacht sowie Kunstgegenstände und Schmuck. Das Geldvolumen wurde auf mindestens eine Viertelmilliarde Euro geschätzt, gewaschen mit Hilfe von Strohfirmen in verschiedenen Steueroasen, vor allem in Gibraltar. Die Gelder waren anschließend nach Spanien zurückgeschleust und in Bau- und Grundstücksfirmen an der Costa del Sol investiert worden, »Europas größtem Touristenparadies und heißestem Immobilienmarkt«.
Die Spinne in diesem Netz aus Geldwäsche und Scheinfirmen war angeblich eine Anwaltskanzlei in Marbella, deren Inhaber sich um die juristischen Formalitäten der Firmengründungen gekümmert hatte, inklusive der Bereitstellung von Strohmännern.
Sie
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