Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
überall Schrotflinten«, fügte Gunna hinzu. »Jeder, der eine Flinte haben möchte, kann sich eine besorgen. Gibt es hier jemanden, der nicht jemand anderen kennt, der auf die Jagd geht? Siehst du?«, sagte sie, als niemand die Hand hob. »Nach allem, was wir wissen, kann es sich um eine legale, zugelassene Waffe handeln.«
»Gut, wonach suchen wir also, verdammt noch mal?«, fragte Sævaldur angespannt.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Gunna. »Wir können uns nur sicher sein, dass es sich nicht um den üblichen isländischen Mord handelt. Er wurde nicht von einem mit Drogen vollgepumpten Penner durchgeführt, der keinen Schimmer hat, was er tut. Wer auch immer es war, er wusste ganz genau, was er tat. Wir müssen herausfinden, ob es eine Verbindung zu dem Brand im selben Haus gibt. Wir konnten bereits feststellen, dass alle Einheimischen, die verrückt genug für eine derartige Tat wären, entweder schon hinter Gittern sitzen oder hieb- und stichfeste Alibis haben.«
»Entweder war das Ganze gut und sorgfältig geplant, oder der Täter hatte einfach sehr viel Glück«, meinte Steingrímur abwesend, als würde er laut denken. »Ich meine, wir waren innerhalb weniger Minuten vor Ort. Zu Fuß kommt man in den wenigen Minuten nicht weit – es sei denn, der Täter wohnt in der Nähe und ist einfach nach Hause gegangen.«
»Oder er hatte seinen Wagen in der Nähe geparkt, und es ist ihm gelungen, wegzufahren, ohne Aufmerksamkeit zu erregen«, schlug Helgi vor. »Ich denke an den weißen Lieferwagen, der ein paar Straßen weiter geparkt war und möglicherweise um die Tatzeit herum verschwunden ist. Nur hat niemand ihn ankommen oder abfahren sehen.«
»Was willst du jetzt machen? Willst du Hunderte von weißen Lieferwagen im Südwesten von Island überprüfen?«, spottete Sævaldur.
»Genau das tun wir gerade«, entgegnete Helgi.
Hinter ihm nickte Ívar Laxdal zustimmend.
***
Das älteste der drei Kinder schlief zuletzt ein. Der kleine Junge sah wie ein Engel aus. Sein Köpfchen hing zur Seite, als Jón ihn sanft in das obere Bett hob.
»Damit kämpfe ich immer«, sagte Elín Harpa.
Sie hatten den Tag zusammen in der kleinen Wohnung verbracht. Die Kinder waren zunächst ins Fernsehprogramm vertieft gewesen und hatten später in ihrem Zimmer ein selbst erfundenes Spiel gespielt.
»Ich dachte, Kinder tun das nicht mehr«, meinte Jón positiv überrascht.
»Sie tun was nicht mehr?«
»Allein spielen. Ich dachte, heutzutage machen sie nichts mehr außer fernzusehen und Videospiele zu spielen.«
»So ist es auch meistens«, sagte Elín Harpa. Sie tranken Dosenbier aus dem Kühlschrank und unterhielten sich mühsam und in abgehackten Sätzen über sich selbst.
»Was ist mit dir?«, fragte Elín Harpa schließlich. »Was ist schiefgelaufen?«
Jón zuckte mit den Schultern. »Vermutlich das Gleiche wie bei vielen anderen auch. Wir hatten Schulden und haben das Haus verloren. Es gab nicht mehr genug Arbeit. Meine Frau ist ausgezogen und zu ihrer Mutter geflüchtet.«
»Und wo hast du dann gewohnt?«
»Bei meinem Bruder. Er hat aber nur eine Wohnung mit einem Schlafzimmer, und wir verstehen uns nicht gut. Er ist eine verwöhnte kleine Schwuchtel. Und was ist mit dir?«
»Mein Freund hat mich vor drei Monaten sitzen gelassen. Er sagte, er hätte genug von uns und wollte wieder ein bisschen Spaß haben.«
»Das ist doch Scheiße«, kommentierte Jón unverblümt.
»Ja, das habe ich auch gedacht.«
»Ist er der Vater von deinen drei Kindern?«, fragte Jón und geriet ins Stocken. »Entschuldige, das ist deine Privatsache, und ich sollte nicht danach fragen.«
»Es stört mich nicht. Nein, die älteren sind von Freund Nummer eins. Wir haben uns nach der Geburt des zweiten Kindes getrennt, und ich habe im Frauenhaus Zuflucht gesucht.«
»Hat er dich verprügelt?«
»Ein bisschen. Jedenfalls genug, um im Frauenhaus aufgenommen zu werden. Dann habe ich diese Wohnung bekommen. Freund Nummer zwei zog bei mir ein, und zunächst war es sehr schön.«
»Was ist schiefgegangen, wenn ich das fragen darf?«
»Er war erst neunzehn und kam mit der Verantwortung für die Kinder nicht klar, vor allem, nachdem das Baby da war. Also ist er gegangen.«
»Siehst du ihn ab und zu?«
»Nicht mehr, seit er ausgezogen ist.«
»Mein Gott, will er nicht einmal sein Baby sehen?«
»Offensichtlich nicht.«
Jóns Gedanken wanderten zu Ragna Gústa, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Sie schwiegen. Jón trank sein Bier
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