Kalter Trost: Island-Krimi (German Edition)
und Jón war nur einer von sehr vielen Gläubigern. Als er schließlich mit Ingi redete, kam heraus, dass der Bauunternehmer zahlungsunfähig war und sie alle im selben Boot saßen. Alle waren in Vorleistung getreten, und Jóns Freunde, die einen Teil der Arbeiten übernommen hatten, verfluchten Jón.
Er recherchierte einige Stunden lang an Sammis Computer und fand heraus, wer der eigentliche Schweinehund war, der hinter der ganzen Sache steckte. Er brachte es nicht übers Herz, Ingi Lár Vorwürfe zu machen, denn die Wohnungsbaugesellschaft von Bjartmar Arnarson hatte es versäumt, ihre Verbindlichkeiten gegenüber Ingi zu begleichen.
Er versuchte einzuschlafen, aber durch die Wand drang Flüstern und unterdrücktes Kichern. Schließlich drückte er sich das Kopfkissen auf den Kopf, um die Geräusche auszublenden.
5. KAPITEL
Montag, der Fünfzehnte
Sechsundneunzig.
Diddi hatte eine Nummer gezogen und wartete. Als Kind war er immer gerne zur Sparkasse gegangen und hatte die Hälfte seines wöchentlichen Taschengelds eingezahlt. Es hatte ihm gefallen, wie der Gesamtbetrag nach und nach zu einer netten kleinen Summe anwuchs.
Inzwischen war ein Besuch bei der Sparkasse nicht mehr ganz so aufregend, weil das Sparbuch schon lange leer geräumt war. Diddi fand das zwar schade, aber eigentlich kam er immer noch gerne hierher. Das Licht war hell und freundlich, und die Mitarbeiterinnen hinter den Schaltern lächelten. Im Hintergrund lief ständig unaufdringliche Musik, die ihm keine Kopfschmerzen verursachte wie die Musik seiner Nachbarn.
Siebenundneunzig.
Diddi warf einen Blick auf seine Nummer, obwohl er wusste, dass es die Neunundneunzig war. Drei Schalter waren besetzt, sodass er nicht lange würde warten müssen. Trotzdem wurde ihm langsam unbehaglich zumute auf seinem unbequemen Plastikstuhl, und er begann in seinem dicken Anorak zu schwitzen. Er wusste, dass das, was er gleich tun würde, falsch war. Außerdem musste er dringend auf die Toilette, aber dann würde er seine Nummer verpassen und müsste eine neue ziehen.
Achtundneunzig.
Eine Dame im Pelz mit einem strengen Gesichtsausdruck betrat die Sparkasse und ging schnell an Diddi vorbei. Ein Windstoß beförderte feuchte Luft in die Schalterhalle, bis die Türe wieder zufiel. Diddi schluckte.
Neunundneunzig.
Er sah, dass die jüngste der drei Kassiererinnen auf ihn wartete, eine Frau mit braunem Haar und einem breiten Lächeln. Diddi stand zitternd auf, konzentrierte sich auf den Schalter und starrte einen Moment lang auf die Zähne der jungen Frau. Er wusste, dass sie etwas zu ihm sagte, konnte aber nichts verstehen, weil sein Kopf dröhnte.
Diddi fummelte an seinem Anorak herum und zog den Reißverschluss herunter. Dann steckte er eine Hand in die Innentasche, zog vorsichtig ein Teppichmesser heraus und passte auf, dass er sich nicht in die Finger schnitt.
Hundert.
Die Kassiererin am Nachbarschalter hatte nichts bemerkt, aber die junge Frau an seinem Schalter starrte ihn ungläubig an. Diddi blickte ihr direkt ins Gesicht und registrierte die maskenhafte Make-up-Schicht. Sie öffnete den Mund und wollte etwas sagen.
»Sei still!«, befahl Diddi. »Bitte gib mir Geld. S-s-sofort«, forderte er sie auf. Er gab sich Mühe, forsch zu klingen. Dann erinnerte er sich daran, was man ihm noch gesagt hatte.
»Mach keinen Lärm und lös keinen Alarm aus«, sagte er, als hätte jemand in seinem Kopf auf Autopilot geschaltet. Er schob die zerknüllte Tragetasche, die er mitgebracht hatte, durch den Spalt. »Tu es hier rein«, wies er die Frau an. »Wenn du nichts dagegen hast«, fügte er hinzu, ohne zu wissen, warum.
Das Mädchen fing sich wieder und machte sich hinter dem Schalter zu schaffen. Diddi erkannte, dass er vergessen hatte, ihr zu sagen, sie solle die Hände dort lassen, wo er sie sehen konnte. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass alles schieflief, und musste sich zusammenreißen, um nicht in Panik zu geraten. Die Bankangestellte am Nachbarschalter starrte ihn verblüfft an. Der Mann in der grünen Jacke, den sie gerade bediente, bemerkte, dass ihre Aufmerksamkeit nicht mehr ihm galt, sondern dem jungen Mann mit der Topffrisur und dem verwirrten Gesichtsausdruck.
»Was geht hier vor …?«, fragte der Mann. Diddi hob das Messer und versuchte, bedrohlich zu wirken.
»Bitte sag nichts und bleib ruhig«, murmelte die Frau hinter dem Schalter und schob ihm die mit Banknoten vollgestopfte Tragetasche zu. Er nahm die Tasche in die linke Hand und
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