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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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auf eine Stufe mit Gott. Die Griechen nennen das Hybris, was so viel heißt wie frevlerischer Übermut. Er spielt Gott, indem er Menschen zu Engeln macht. Er selbst ist aber überzeugt, lediglich ein Werkzeug in der Hand Gottes zu sein …«
    »Dann ist er also doch verrückt«, wurde er von Durant unterbrochen.
    »Nein, so einfach ist das nicht. Wir alle spielen dann und wann Gott. Nur ein Beispiel: Rechthaberei ist ein Teil davon. Wer ständig darauf beharrt, Recht zu haben, auch wenn er im Unrecht ist, spielt Gott. Die Geschichte der Menschheit ist gespickt mit Gottmenschen. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe aufzählen, doch das würde zu weit führen. Ich will damit nur ausdrücken, dass unser Mann nicht unbedingt verrückt sein muss, er hat nur jeglichen Sinn für die Realität verloren, aber das haben viele. Wie viele lügen sich Tag für Tag in die Tasche und merken gar nicht, wie sie allmählich den Boden unter den Füßen verlieren?! Es ist ein heikles Thema, aber ob unser Mann im klinischen Sinn verrückt ist, wird sich noch herausstellen. Ich glaube es nicht.«
    Er machte eine Pause, trank einen Schluck Wasser und fuhr fort: »In ihm sind eine Menge aufgestauter Hass und Aggressionen, die er aber im realen Leben nicht umsetzen kann, weil er zu feige ist. Er ist, wie schon erwähnt, ein charmanter, redegewandter Mann, der mit Leichtigkeit jeden um den Finger wickeln kann. Seine Aggressionen und sein Hass sind aber ganz tief in ihm verwurzelt, er würde dieses Abgründige nie seinen Freunden oder Bekannten gegenüber zum Ausdruck bringen, was für eine perfekte Fassade spricht, die er im Laufe seines Lebens aufgebaut hat. Er würde auch niemals einem Menschen bewusst wehtun, selbst verbalenStreit vermeidet er weitestgehend. Im Grunde ist er ein gutmütiger, hilfsbereiter Zeitgenosse.« Er hob die Hand, als auf seinen letzten Satz hin Unruhe bei den Anwesenden aufkam und einige bereits aufbegehren wollten. »Ich weiß, ich weiß, Sie fragen sich jetzt bestimmt, wie kann jemand, der solche Morde begeht, gutmütig und hilfsbereit sein. Ich kenne den Fall eines Serienmörders, der Ende der Sechziger im Raum Frankfurt mehrere Frauen auf bestialische Weise getötet hat und erst in den USA verhaftet wurde. Es war ein amerikanischer Soldat, den die meisten von Ihnen vermutlich nicht kennen, ein gewisser Mark Alan Smith. Er wurde von allen, die ihn kannten, als höflich, charmant, hilfsbereit, loyal beschrieben. Das andere, das böse, grausame Gesicht haben nur die Opfer gesehen. Es ist die berühmte Geschichte von Jekyll und Hyde, die im Prinzip auf alle Serientäter zutrifft.«
    »Ist er verheiratet?«
    »Zu neunundneunzig Prozent ist er verheiratet und führt nach außen hin eine glückliche Ehe. Wahrscheinlich hat er auch Kinder und versucht, ihnen ein besonders guter Vater zu sein. Aufgrund seiner Intelligenz scheint er einen angesehenen Beruf zu haben und entsprechend gutes Geld zu verdienen. Und er ist den schöngeistigen Dingen gegenüber sehr aufgeschlossen, das heißt, er liest gerne, reist viel, hört gute Musik et cetera pp. Das beweist unter anderem seine Sorgfalt, wenn Sie mir diesen Ausdruck gestatten, die er sowohl während der Tat als auch anschließend walten lässt.«
    »Warum hat er keine sexuellen Handlungen an seinen Opfern durchgeführt?«
    »Weil er sich dadurch beschmutzt hätte. Er ist aber weder impotent, noch steht er der Sexualität ablehnend gegenüber. Doch die Opfer, vor allem die Mädchen, waren unrein geworden, und erst mit ihrem Tod wurden sie wieder rein. Hätte er sich an ihnen vergangen, wäre auch er unrein geworden. Er hätte ganz leicht jedes der Mädchen missbrauchen können, aber das lag ihm fern, denn sein Plan war ja, ihnen die Reinheit, sprich die Unschuld wiederzugeben.Warum die Mädchen aber in seinen Augen unrein waren, vermag ich nicht zu beantworten.«
    Ich schon, dachte Durant und sah Hellmer an, der ihren Blick erwiderte. Sie schüttelte nur ganz leicht den Kopf.
    »Prof. Richter, können wir bitte eine kurze Pause machen, ich müsste mal ganz kurz raus«, sagte sie.
    »Also gut, machen wir eine Pause«, stimmte Richter zu und setzte sich zu Berger, während Durant aufstand und den Raum verließ. Wenig später folgte ihr Hellmer nach draußen. Sie blieb an der Toilettentür stehen, eine Zigarette in der Hand.
    »Gehen wir ins Büro«, sagte Durant nur. Sie schloss die Tür hinter sich. Sie war nervös wie selten zuvor.
    »Ich weiß genau, was du willst«, sagte

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