Kaltes Blut
Dreiviertelstunde, bis die Kollegen endlich eintrafen und der Fotograf seine Arbeit beginnen konnte.
»So, fertig«, sagte er nach zehn Minuten und packte seine Ausrüstung zusammen. »Die Bilder gibt’s in zwei Stunden.«
Mischner wurde abgehängt und auf den Boden gelegt. Der Arzt beugte sich über ihn und sagte nach kurzer Begutachtung: »Eindeutig Suizid. Ich stelle Ihnen den Totenschein aus. Wie heißt der Mann genau?«
Hellmer nannte ihm die Daten, der Arzt schrieb sie auf den Schein und reichte ihn Hellmer.
»Und Sie sind sicher, dass es ein Selbstmord war?«, fragte Durant.
»Ich bin kein Fachmann für so was, aber es deutet alles darauf hin.«
»Und wie lange ist er schon tot?«
»Kann ich nicht sagen. Die Leichenstarre scheint jedenfalls vollständig ausgebildet. Aber ich bin nur Allgemeinmediziner und kein Pathologe.«
»Und was ist mit den Leichenflecken? Sind sie wegdrückbar oder …«
»Ich kenne mich damit wirklich nicht aus, glauben Sie mir.«
»Warten Sie, ich zeig’s Ihnen mal.« Sie kniete sich vor Mischner und drückte mit zwei Fingern auf die Leichenflecken. »Hier, sehen Sie, nicht mehr wegdrückbar. Also ist der Mann seit mindestens zwölf Stunden tot. Nur falls Sie mal wieder mit so was zu tun haben. Trotzdem vielen Dank.«
Der Arzt war vor Verlegenheit rot geworden, seine Ohren glühten, er murmelte ein »Wiedersehen« und verließ den Raum.
Julia Durant besah sich noch einmal den Toten, warf einen langen Blick auf seinen Hals und sagte: »Frank, komm mal her.«
»Muss das sein?«
»Was siehst du?«
»Das, was ich schon einige Male bei Selbstmördern gesehen habe, die sich aufgehängt haben.«
»Irgendwie schaut das komisch aus. Diese Hautunterblutungen …«
»Julia, jetzt hör doch mal auf damit. Lass ihn in die Rechtsmedizin bringen, und dort wird man dir sagen, dass es Suizid war. Und damit schließen wir die Akte.«
»Welche Akte?«, fragte sie und erhob sich wieder.
»Für mich ist der Fall ziemlich eindeutig.«
»Aber für mich nicht, kapiert?! Erst wenn Mord völlig ausgeschlossen werden kann.«
»Wenn du meinst.«
Inzwischen waren auch die Männer vom Bestattungsinstitut eingetroffen. Durant wies sie an, Mischner in die Rechtsmedizin nach Frankfurt zu bringen. Er wurde in einen schwarzen Plastiksack gelegt, der Reißverschluss zugezogen.
»Um was wetten wir, dass es kein Suizid war?«, fragte Durant.
»Schon wieder?« Hellmer grinste sie an. »Diesmal verlierst du haushoch. Ich schlag ein.«
»Keine Chance. Mischner wurde ermordet. Und diesmal schulde ich dir und Nadine ein opulentes Essen, sollte ich Unrecht haben. Andernfalls erledigst du die Hälfte meiner liegen gebliebenen Akten.«
»Nee, nee, um deine Akten kümmerst du dich schön selbst, ich hab genug mit meinen zu tun. Aber ich würde mich dazu herablassen, deine Fenster zu putzen.«
»Woher weißt du, dass sie das dringend nötig haben?«, fragte sie grinsend.
»Bis eben wusste ich es nicht. Du hast dich verraten. Aber ich mach’s, sollte ich verlieren.«
»Ich nehm dich beim Wort.«
Als sie unten ankamen, stand der Hausmeister in der Tür und sah sie neugierig an. »Was ist denn los?«, fragte er.
»Herr Mischner ist tot.«
»Mein Gott, er wurde doch hoffentlich nicht umgebracht?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen.
»Er hat es selber getan. Sie haben jetzt aber die einmalige Chance, zum Telefon zu rennen und die Bild-Zeitung anzurufen. Das gibt ein paar Euro«, sagte sie trocken. »Na machen Sie schon, die sind immer heiß auf ’ne gute Story.«
Samstag, 16.50 Uhr
Polizeipräsidium. Berger machte sich gerade zum Aufbruch bereit, als Durant und Hellmer das Büro betraten.
»Morbs ist bereits informiert«, sagte er, während er seinen Schreibtisch aufräumte. Er hasste es, morgens in sein Büro zu kommen und einen unordentlichen Tisch vorzufinden. Vor kurzem allerdings noch, als die Flasche sein ständiger Begleiter war, hatte ihn die Unordnung auf seinem Schreibtisch recht wenig gekümmert, jetzt war alles wieder so wie früher. »Sie sollen ihn anrufen. Wir sehen uns am Montag, es sei denn, es gibt etwas außergewöhnlich Wichtiges. Und mit außergewöhnlich wichtig meine ich auch außergewöhnlich wichtig, damit wir uns recht verstehen. Das psychologische Gutachten liegt auf Ihrem Schreibtisch. Und das mit dem Anruf bei Gerber hat sich auch geklärt. Er wurde am Donnerstagmorgen um ein Uhr dreiunddreißig von einer Telefonzelle in Hofheim aus angerufen. Das Gespräch dauerte
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