Kaltes Blut
zwei Minuten. Damit hat er wohl ein ziemlich gutes Alibi.«
»Der Sonntag sei Ihnen und Ihrer Zukünftigen gegönnt«, sagte Durant nur.
»Wir werden uns sicherlich einen schönen Abend und morgeneinen noch viel schöneren Tag machen. Das Wetter soll ja entsprechend sein. Und jetzt tschüs.«
Nachdem Berger die Tür hinter sich geschlossen hatte, meinte Hellmer, der sich hinter seinen Schreibtisch setzte und das psychologische Gutachten in die Hand nahm: »Wer ruft Morbs an?«
»Ich.« Sie tippte die Nummer ein und drückte einen Knopf, damit Hellmer mithören konnte. »Hier Durant, Sie haben was für mich?«
»Ich habe Ihren Patienten vor einer halben Stunde auf den Tisch bekommen. Um es kurz zu machen, der junge Mann ist mit fast hundertprozentiger Sicherheit eines gewaltsamen Todes gestorben.«
»Suizid ist auch gewaltsam. Was heißt das konkret?«
»Er wurde umgebracht.«
Durant grinste Hellmer an und zeigte mit der rechten Hand zum Fenster und machte eine eindeutige Putzbewegung.
»Und wie?«
»Erdrosselt. Wie es aussieht, mit einer Drahtschlinge. Anschließend wurde er aufgehängt, um es wie Selbstmord aussehen zu lassen.«
»Wie haben Sie das festgestellt?«
»Ganz einfach, es gibt zwei unterschiedlich tiefe Hautunterblutungen, von denen die eine allerdings mit dem bloßen Auge und vor allem für den Laien kaum sichtbar ist, da der junge Mann schon ein bisschen länger dort gehangen hat. Ich habe auch eine Lupe zur Hand nehmen müssen. So viel dazu.«
»Und wie lange ist er schon tot?«
»Kann ich noch nicht genau sagen, die Untersuchungen werden noch eine Weile dauern. Aber nicht länger als vierundzwanzig Stunden. Eher weniger. Die ersten Ergebnisse kann ich Ihnen so gegen sieben oder acht liefern.«
»Prima, bis später.« Durant hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand. »Ich wette, wir haben es mit ein und demselben Mörder zu tun.«
»Nicht schon wieder«, sagte Hellmer und rollte mit den Augen.»Ich wette in Zukunft nicht mehr. Zumindest nicht mit dir. Wie viele Fenster hast du eigentlich in deiner Bude?«
Sie zählte im Kopf durch und antwortete grinsend: »Leider nur vier.«
»Das geht ja noch. Du hast zum Glück kein Haus.«
»Und wann machst du’s?«
»Wenn wir mit allem durch sind. Ich werf jetzt mal einen Blick in das Gutachten.«
Julia Durant lehnte sich zurück, zündete sich eine Zigarette an und dachte nach. Ihr Bauch hatte sie wieder einmal nicht im Stich gelassen. Wie hatte Gerber doch gleich gesagt – ›Sie haben eine stark ausgeprägte Intuition‹. Wie wahr, dachte sie im Stillen.
Hellmer überflog die Seiten und sagte schließlich: »Steht nichts Besonderes drin. Mischner hat sich einer Therapie unterzogen, unter anderem hat er eine Familienaufstellung nach Hellinger gemacht, was immer das auch ist. Starke Minderwertigkeitskomplexe, sein Vater war Alkoholiker, hat ständig die Mutter verprügelt und zahlreiche Affären gehabt. Mischner hat trotzdem immer die Nähe zu ihm gesucht, sein Vater hat sie ihm aber verwehrt. Irgendwann hat er sich der Mutter zugewandt, doch die hat ihm auch keinen richtigen Halt geben können, dazu war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Er hat das Elternhaus verlassen, als er vierzehn war, hat ein paar Monate im Bahnhofsviertel als Stricher angeschafft … Das mit dem Drogenkonsum und dem Dealen wissen wir schon … Das von der Vergewaltigung ist uns auch bekannt … Starke sexuelle Probleme, hat seinen eigenen Schilderungen zufolge nie eine richtige Freundin gehabt. Das erklärt auch die Pornohefte in seiner Wohnung. Einzelgänger, IQ 85, also leicht unter der Norm, aber noch im grünen Bereich. Handwerklich sehr geschickt, sehr tierlieb … Hat auch hin und wieder religiöse Sachen von sich gegeben … Abwechselnd introvertiert und extrovertiert, wobei das Introvertierte überwogen hat … Interessant ist aber, dass ihm ein geringes Gewaltpotenzial bescheinigt wird. Seine Aggressionen waren eher nach innen gerichtet, das heißt gegensich selbst. Aber keine Suizidgefährdung. Bisweilen übersteigertes Geltungsbedürfnis, also ein Aufschneider. Die soziale Integrationstherapie nach anderthalb Jahren erfolgreich beendet … Viel mehr steht hier nicht.«
Julia Durant hatte aufmerksam zugehört. Sie wirkte nachdenklich, steckte sich eine weitere Zigarette an. Hellmer beobachtete sie dabei, sagte aber nichts. Er wusste, sie war nervös und merkte gar nicht, wie sie ihre guten Vorsätze wieder einmal brach.
»Im Prinzip
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