Kaltes Blut
interessiert mich das Gutachten gar nicht mehr. Noch mal – Mischner hat knapp die Hälfte seiner Strafe abgesessen und ist dann nach Hofheim gezogen. Wer hat ihm die Wohnung besorgt und eingerichtet? Er hat weiter kein Geld gehabt, woher auch, aber die Möbel waren, so weit ich das in dem Dreck erkennen konnte, fast alle neuwertig, genau wie der Fernseher und der ganze Rest. Jemand hat ihm das finanziert. Wer? Und was hat er im letzten halben Jahr getrieben? Wenn wir diese Nuss knacken, haben wir auch seinen Mörder. Möglicherweise.«
»Vielleicht war er der Anrufer bei Gerber«, sagte Hellmer wie selbstverständlich. »Berger hat doch eben gesagt, der Anruf kam von einer Telefonzelle in Hofheim. Ich meine, das kann doch kein Zufall sein. Nehmen wir mal an, Mischner hatte einen Gönner. Vielleicht jemanden, der bei ihm in der Schuld stand …«
»Weshalb könnte jemand bei ihm in der Schuld gestanden haben?«, unterbrach ihn Durant.
»Schwer zu sagen. Vielleicht hat Mischner ihm einen großen Gefallen getan und …«
»Was für einen Gefallen? Wie groß muss ein Gefallen sein, dass derjenige sich so rührend um Mischner gekümmert hat? Was hat Mischner für ihn getan?«
»Keine Ahnung, es muss sich aber um eine größere Sache gehandelt haben, so viel steht fest.«
»Was ist mit Verwandten? Hat er noch welche?«
»Moment, gleich hab ich’s. Vater vor drei Jahren gestorben, die Mutter hat einen andern Mann und lebt jetzt in Norddeutschland.Keine Geschwister … Den Rest kriegen wir auch noch zusammen.«
»Okay, zurück zum Gönner. In welchem Umfeld müssen wir ihn suchen? In Okriftel? Im Reitclub? Oder ganz woanders?«
»Du stellst vielleicht Fragen. Sicher ist jedenfalls, derjenige hat ihm die Wohnung beschafft, hat ihm finanziell unter die Arme gegriffen und wohl auch hin und wieder seine Dienste in Anspruch genommen. Und er hat Mischner beauftragt, Gerber anzurufen und von zu Hause wegzulocken. Klingt doch logisch, oder?«
»Ja. Und weiter?«
»Nehmen wir weiter an, Mischner hatte keine Ahnung, welchen Grund dieser Anruf hatte. Dass nämlich ein Mädchen, das er selbst von früher kannte, umgebracht werden würde. Aber Mischner war doch nicht so doof, wie viele meinten, er hat von dem Mord gehört, zwei und zwei zusammengezählt und seinen Gönner unter Druck gesetzt. Ich vermute mal, er wollte jetzt richtig abkassieren und dann die Fliege machen. Das aber konnte der andere Typ unmöglich zulassen, also hat er Mischner beseitigt, denn dieser wusste ja viel zu viel von ihm. Und beinahe wäre es ihm gelungen, uns auf eine falsche Fährte zu locken. Aber weil wir ja im Gegensatz zu Mischner einen sensationell hohen IQ haben …«
Julia Durant ging auf den letzten Satz nicht ein und fuhr fort: »Aber was wusste Mischner, und für welche Zwecke wurde er eingespannt? Ich frag mich die ganze Zeit, was wirklich dahinter steckt. Vor allem, seit wann kannten die beiden sich? Kannten sie sich schon, bevor Mischner das Mädchen vergewaltigt hat, oder sind sie sich erst später über den Weg gelaufen, vielleicht sogar zufällig? Oder gar erst im Knast?«
»Im Knast halte ich für ausgeschlossen. Dann müsste ja irgendeiner aus Hattersheim zur gleichen Zeit eingesessen haben. Nee, die beiden kannten sich vermutlich schon länger. Vielleicht sogar Jugendfreunde.«
»Glaub ich nicht. Mischner hatte keine Freunde, das geht sogaraus dem Gutachten hervor. Er hatte nur den einen, und der hat ihm vorgegaukelt, sein Freund zu sein. Was Mischner aber nicht merkte, im Gegenteil, er war sogar mehr als froh, einen Freund gefunden zu haben, denn endlich hatte er jemanden, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte. Und einer wie Mischner, der zeitlebens nach einem Halt gesucht hat, tut für einen Freund so ziemlich alles … Frank, das ist es«, sagte Durant und schoss nach vorn, die Arme auf den Schreibtisch gestützt. »Unser Mörder muss jemand sein, der sehr intelligent ist, sich mit Menschen auskennt und sehr schnell herausfindet, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, und mit ihnen spielt. Einer, dem man nie zutrauen würde, einen Mord zu begehen. Freundlich, loyal, gebildet und mit allen Wassern gewaschen. Mischner hat wahrscheinlich erst nachdem er von Selinas Tod gehört hat geschnallt, dass sein angeblicher Freund gar keiner ist. Und dann hat er einen riesengroßen Fehler begangen, indem er ihn nämlich erpresst hat … Es könnte sich so abgespielt haben. Wo hat er eingesessen?«
»Weiterstadt.«
»Es
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