Kaltes Blut
müsste doch dort einige Gefangene geben, die immer noch einsitzen und Mischner kannten. Vielleicht hat er einem von ihnen mal was erzählt, was eigentlich keiner wissen durfte. Der Gutachter schreibt doch, dass Mischner bisweilen zur Selbstdarstellung geneigt hat. Und im Knast, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, lässt du schon mal den einen oder andern Spruch los, nur um dich wichtig zu machen.«
»Schaden kann’s nicht, wenn wir uns dort mal umhören«, meinte Hellmer.
Julia Durant kaute auf der Unterlippe, drehte sich mit dem Stuhl und sah aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Haus.
»Mischner. Zu wem hatte Mischner Kontakt vor seiner Strafe, währenddessen und vor allem danach? Es muss jemand sein, der genau wusste, dass Mischner ein ideales Werkzeug ist. Sozusagen ein treu ergebener Lakai …«
»Wobei der Lakai am Ende doch nicht so treu ergeben war, dennmit einem Mord wollte er denn doch nichts zu tun haben. Was wiederum das Gutachten bestätigt, in dem Mischner ein eher geringes Gewalt- und Aggressionspotenzial bescheinigt wird. Bei Mord hörte bei ihm auch die beste Freundschaft auf. Und das hat er seinen so genannten Freund wissen lassen.«
»Aber der andere hat damit gerechnet und ihn rechtzeitig beseitigt. Das macht den Unterschied zwischen einem Herrn und einem Diener.«
»Oder den Unterschied zwischen einem IQ von 120 und einem von 85. Also noch mal: Wann, wo und wie haben sie sich kennen gelernt, und vor allem, was hat Mischner für seinen Freund getan, dass dieser ihm so dankbar war? Natürlich nur bis zu dem Moment, wo Mischner ihm quasi die Freundschaft gekündigt oder versucht hat, ihn zu erpressen.«
Julia Durant sagte nichts darauf, sie überlegte. Sie stand auf, fragte, ob Hellmer auch eine Cola wolle, er nickte, sie ging zum Automaten auf dem Flur und zog zwei Dosen. Sie reichte eine Hellmer, stellte sich ans Fenster und beobachtete den mäßigen Verkehr auf der Mainzer Landstraße und am Platz der Republik, wo schon seit längerer Zeit nicht mehr gebaut wurde.
»Frank, ich vermute einfach mal, Mischner und sein Mörder haben sich in Hattersheim kennen gelernt. Wo hat Mischner gewohnt, bevor er nach Eddersheim kam?«
»In Frankfurt.«
»Okay. Dann kam er nach Eddersheim in den Reitclub. Er hat dort über ein Jahr lang unauffällig und zur vollen Zufriedenheit von Frau Gerber seine Arbeit erledigt, bis zum soundsovielten im November 98, als das mit der Vergewaltigung passierte. Irgendwann in dieser Zeit muss er seinen Freund getroffen haben. Eine andere Erklärung habe ich nicht.«
»Dann sollten wir noch einmal die Gerber, aber auch die andern aus dem Reitclub über Mischner befragen. Ob jemand weiß, was er so in seiner Freizeit getrieben hat, mit wem er des Öfteren zusammen war und so weiter. Und vielleicht kann uns ja einer sagen,ob er eine engere freundschaftliche Beziehung zu einem Mann hatte.«
»Muss es unbedingt ein Mann gewesen sein?«, fragte Durant.
»Ja, es muss«, erwiderte Hellmer energisch nickend. »Und diesmal würde ich wetten. Mischner war etwa einsachtzig groß, ich schätze mal, er wog so um die achtzig Kilo. Wie hätte eine Frau ihn denn auf diese Weise umbringen können? Selbst wenn du eine Drahtschlinge hast und sie jemandem von hinten um den Hals legst, brauchst du eine ziemliche Kraft, um denjenigen vom Leben zum Tod zu befördern, wie es so schön heißt. Es kann sich nur um einen Mann handeln. Oder wir haben es mit einer Frau zu tun, die eine spezielle Ausbildung diesbezüglich genossen hat. Aber das schließe ich in diesem Fall völlig aus.«
»Das heißt, wir haben es mit einem großen, kräftigen Mann zu tun.«
»Er muss nicht unbedingt groß und kräftig sein, Julia. Eins von beidem reicht schon. Aber er muss zumindest so kräftig sein, dass er lange genug die Schlinge zuziehen und auch festhalten kann, und er muss vor allem in der Lage sein, einen Mann wie Mischner auf einen Stuhl zu heben und ihm im toten Zustand die andere Schlinge um den Hals zu legen. Die Frauen, die ich kenne, wären dazu nicht in der Lage, nicht einmal du.«
»Also gut, ein Mann. Meinst du, wir hatten schon das Vergnügen mit ihm?«
»Wenn du auf Gerber ansprichst, der würde so was wie mit Mischner nie tun.«
»An den hab ich auch ehrlich gesagt gar nicht gedacht. Aber es gibt doch sicher auch noch andere Männer auf dem Hof, oder?«
»Sicher gibt’s die«, antwortete Hellmer und streckte sich und gähnte dabei laut. Er sah auf die Uhr und meinte: »Soll
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