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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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auf einem der ausgewiesenen Stellplätze parkte,
traf die Bezeichnung ›architektonischer blinder Fleck‹ so genau zu wie
hier.
    Er war nicht gerade in bester Stimmung. Nachdem Emma Bradbury
gestern davongefahren war, hatte Lapslie den ganzen Vormittag lang in
dem Waldstück herumgehangen, wo die Leiche entdeckt worden war, und
darauf gewartet, dass die Gerichtsmedizinerin endlich aufkreuzte.
    Am frühen Nachmittag waren Zeitungsleute aufgetaucht, ganz
kurz vor Jane Catherall, vermutlich auf den Tipp eines der Sanitäter
hin. Und als er die abgefertigt und eine halbe Stunde mit dem
Einsatzleiter telefoniert hatte, da war sie mit den Leichen bereits
abgefahren, und er war stinksauer. Irgendein Irrtum in der Verwaltung
hatte dann noch dazu geführt, dass die meisten Streifenpolizisten vom
Tatort abgezogen wurden, um ein Fußballspiel in der Nähe zu sichern.
Und Superintendent Rouse hatte auch nicht zurückgerufen. Alles in allem
war es ein frustrierender Tag gewesen.
    Emmas Mondeo stand zwei Parkplätze weiter. Diesmal war er
leer. Kein fremder Mann auf dem Beifahrersitz, der darauf wartete, dass
sie zurückkam und ihn hinwegbeförderte.
    Die Eingangstür hatte ein Tasten-Kombinationsschloss. Er hatte
die Zahlenkombination mal gewusst, sie im Laufe der Jahre jedoch immer
wieder vergessen, und so tat er, was er gewöhnlich tat: Er drückte auf
den Knopf der Gegensprechanlage. Es dauerte eine gute Minute, ehe
jemand antwortete.
    »Detective Chief Inspector Lapslie«, sagte er und beugte sich
zu der Sprechanlage herunter. Warum wurden diese Dinger immer von
Zwergen installiert? Oder erwarteten die Installateure vielleicht
haufenweise Schulklassen, die ohne Begleitung Erwachsener die
Leichenhalle besuchten?
    Die Tür summte, und er drückte sie auf.
    Trotz der Sommersonne draußen war das Gebäude angenehm kühl.
Der Boden des Eingangsbereichs war mit Steinplatten ausgelegt, die im
Laufe der Jahre so viele Kaffeeflecken abgekriegt hatten, dass sie wild
gescheckt waren. Die verputzten Wände waren stumpfblau gestrichen. Ein
junger Mann, der über T-Shirt und Jeans einen weißen Kittel trug,
wartete auf ihn.
    »DCI Lapslie?«
    Er reichte ihm seinen Dienstausweis. Der Mann prüfte ihn
eingehend, dabei war sich Lapslie ziemlich sicher, dass der nicht fähig
wäre, den Unterschied zwischen einem ordentlichen Dienstausweis und
einer Mitgliedskarte des Fitnessclubs von Scotland Yard zu erkennen.
    »Hier entlang, bitte.«
    Er führte Lapslie einen Korridor entlang und bedeutete ihm,
durch eine Doppeltür weiterzugehen. Die Temperatur sank beträchtlich,
als Lapslie die Türen aufstieß, und er bemerkte einen strengen Geruch,
wie Bleichmittel, das in einen verstopften Abfluss gegossen worden war
und nun vor sich hingärte. Der Geruch war so stark, so widerlich, dass
er ihn hinten in der Kehle schmeckte. Einen Augenblick lang legte seine
Synästhesie den Rückwärtsgang ein: Der Geschmack des Desinfektions-
oder Reinigungsmittels, oder was es sonst war, der den Verwesungsgeruch
überlagerte, erfüllte seinen Kopf mit sonorem Glockenläuten. Das
passierte nicht oft, und er taumelte ein wenig, die Hand an der Stirn,
desorientiert.
    »Alles in Ordnung?«, fragte eine unbekannte Stimme.
    »Doch, doch. Bloß der Geruch hat mich einen Moment umgehauen.«
Er blinzelte ein paar Mal und drängte das Kirchengeläut in den
Hinterkopf.
    Der Raum, den er betrat, war weitläufig und von unten bis oben
weiß gefliest. Mehrere große Ventilatoren waren an der Decke
installiert, genau über den Stahltischen, die in der Mitte des Raumes
standen, aufgereiht und massiv wie antike Obelisken. Jeder Tisch hatte
eine umlaufende erhöhte Kante und an einem Ende einen Wasserhahn mit
angeschlossener Rohrleitung samt Duschkopf, alles ebenfalls aus Stahl.
Auf zweien der Tische lagen verhüllte Leichen; eine viel größer und
formloser als die andere.
    Die Frau, die zwischen den Tischen stand, war kleiner als er,
mit einem so runden, vorgewölbten Bauch, dass es fast aussah, als habe
sie einen Basketball unter ihren weißen Kittel geschoben, und mit
runden blauen Augen, die Lapslie mit geradezu beunruhigender Milde
anblickten. Sie lächelte, und Lapslie dachte bei sich, dass er noch nie
ein so reizendes Lächeln bei einer Frau gesehen hatte.
    »Polio«, sagte sie, und ihre Stimme schmeckte wie Kognak mit
Soda.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe gestern bemerkt, wie Sie zu mir rübergeschaut haben,
als ich endlich am Tatort erschienen bin. Sie haben sich

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