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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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hatte sie im Laufe der Jahre genug davon aufgebrüht,
einschließlich ihrer eigenen Spezialsorten.
    Daisy bestrich ihren Toast dünn mit Butter und nahm einen
zierlichen Bissen, während sie über ihre Vorhaben nachdachte. Demnächst
würde sie einen Wohnungsmakler aufsuchen und sich hier in der Gegend
eine Bleibe mieten müssen. Schließlich konnte sie nicht auf Dauer in
einem Hotel wohnen. Ein Räuber braucht eine Höhle, und das Hotel war
viel zu publik, zu exponiert. Das Problem war, sie wusste so wenig über
die Stadt. Wo waren die bevorzugten Wohngegenden für Rentner, welches
waren die lauten Kneipen, welches die ruhigeren, und dergleichen mehr.
Gewöhnlich bestand ihre Taktik darin, alles an regionalen Zeitungen zu
kaufen, was die Gegend zu bieten hatte, und sie ein paar Mal zu lesen,
um sich ein Gespür zu verschaffen, wo sie eigentlich gelandet war.
Durch lange Erfahrung hatte sie herausgefunden, dass der Anzeigenteil
einem eine Menge brauchbarer Hintergrundinformationen lieferte, nicht
zuletzt die Sektion der Todesanzeigen mit bevorstehenden Beerdigungen
oder dem Gedenken an Todesdaten. Irgendwo musste man ja schließlich
beginnen, und Witwen waren leichte Beute.
    Als sie mit ihrem Toast fertig war, stand Daisy auf und ging.
Niemand im Restaurant kam auf die Idee, ihr nachzuschauen, und genau so
hatte sie es gern.
    Draußen vor dem Hotel war das Wetter trotz des grauen,
wolkigen Himmels warm. Die Flut hatte eingesetzt und kroch langsam am
sandigen Ufer hinauf. Zu ihrer Rechten ragte die Landungsbrücke ins
Wasser hinein, eine Brücke, die nirgendwo hinführte. Sie zog die
Wolljacke fester um sich, wandte sich nach links und ging die
Uferpromenade entlang. Die machte vor ihr einen Bogen nach links und
verbarg dem Blick alles, bis auf die nahe gelegene Reihe der Häuser,
Bars und Hotels, und es sah aus, als schwappe das Wasser direkt gegen
die Häuserwände. Weit in der Ferne kurvte die Uferlinie wieder zurück
in ihr Blickfeld und stieg zu einer steilen Kruppe an, die die Stadt
überragte – sicherlich die Naze, so genannt nach dem
französischen nez ; das hieß
Nase, und genauso sah sie auch aus.
    Während sie so dahinging, fiel ihr auf, dass sie wie mit
Absicht nach links gegangen war, als wolle sie an einen bestimmten Ort
gelangen, doch als sie nach einem Grund dafür suchte, wurde ihr klar,
dass sie eigentlich gar nicht wusste, wohin sie ging. Am Tag zuvor war
sie aus der entgegengesetzten Richtung zu dem Hotel gekommen, und bei
ihrem Abendspaziergang war sie nach rechts gegangen, zurück zum
Bahnhof. Jetzt, da sie in eine unbekannte Richtung lief, hatte sie das
deutliche Gefühl, dass es hinter der Kurve etwas Vertrautes gab, etwas,
das sie sehen wollte – wenn sie nur wüsste, was es war.
    Ein paar Schritte, und sie konnte weiter um die Kurve
herumblicken. Da war ein öffentlicher Park: ein kleines, umzäuntes
Areal im Winkel zwischen der Uferpromenade und einer Straße,
wahrscheinlich der Hauptstraße. Als sie näher kam, sah sie, dass
ringsum am Rand des Parks Bänke standen und dass er mit Reihen bunt
blühender Blumen bepflanzt war. Eine kleine Oase der Ruhe inmitten des
Seebad-Trubels. Statt außen herum zur Hauptstraße zu gehen, durchquerte
Daisy den Park.
    Mit kundigem Auge identifizierte sie die Pflanzen, an denen
sie vorüberkam. Drüben an der Backsteinwand des nächsten Gebäudes
rankte sich Poleiminze empor, die kleinen rosa und weißen Blütendolden
durch reiches Blattwerk voneinander getrennt. Dicht daneben entdeckte
Daisy die dunkelroten, fünfblättrigen Blüten von Ritterspornstauden,
die sich ihr entgegenreckten. Beides Giftpflanzen, obwohl das wirksame
Öl erst mühsam aus der Poleiminze gewonnen werden musste – ein
umständlicher Prozess, den Daisy sich ungern noch einmal zumuten
wollte. Es gab auch noch andere Pflanzen im Park, aber die
interessierten sie weniger. Gewiss, sie sahen hübsch aus, und sie
dufteten wohl auch schön, doch sie hatten keinen praktischen Wert. Man
konnte sie nicht dazu benutzen, jemanden zu töten.
    Dabei fiel ihr ihr eigener Garten ein. Und sie musste lächeln
bei der Erinnerung an all die dunklen Düfte und die schimmernden
Blüten, die sie dort zurückgelassen hatte. Als sie Daisy –
nein, sie war ja jetzt Daisy – als sie
die Leiche weggebracht hatte, dorthin, wo niemand
sie finden würde, da hatte sie die Gelegenheit genutzt, ihren Garten
ein wenig zu pflegen, das im Mulch wuchernde Unkraut auszureißen und
ein paar der extravaganteren

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