Kaltes Gift
das Einzige, was hier angebaut
wurde – schwankten im Wind. Von ihrem überwältigenden Duft,
der durch die Fenster hereinströmte, wurde Daisy schwindlig.
Hier im Wagen zu sitzen, das erinnerte Daisy an ihren eigenen
Volvo, der still und stumm in einer Nebenstraße in Colchester stand.
Sie hatte gar nicht mehr an ihn gedacht, und mittlerweile
hatte er womöglich schon Strafzettel verpasst bekommen oder war sogar
abgeschleppt worden. Ihn jetzt abzuholen, konnte riskant sein, und
angesichts der Tatsache, dass Sylvia selbst einen Wagen besaß, war es
auch überflüssig. Bald würde dieser Wagen ihr gehören, und sie sollte
den Volvo ruhig in Frieden vor sich hin rosten lassen. Immerhin war er
ein Verbindungsglied zu einer Vergangenheit, der sie entkommen wollte.
Am besten war es also, ihn einfach stehen zu lassen.
Sylvia parkte umsichtig im Schatten eines großen Baumes
draußen vor dem Gartencenter. Gemeinsam gingen sie hinein, und während
Sylvia herumschlenderte und nach etwas Passendem für ihre
Staudenrabatten Ausschau hielt, ging Daisy zu dem Areal mit jungen
Bäumchen. Eine ganze Reihe war ausschließlich den Eiben gewidmet, und
Daisy verbrachte eine genüssliche halbe Stunde damit, daran
entlangzuwandern, die Unterschiede zwischen der englischen, der
kanadischen und der japanischen Variante zu studieren, mit den Händen
über die nadelspitzen Blätter und die rotbraune, schilfrige Rinde zu
streichen. Was für ein vielseitiger Baum! So robust, so reizvoll, und
bei richtiger Anwendung so tödlich, dank des hohen Gehalts an Toxinen
in seiner Rinde, seinen Blättern und seinen Samen. Sie sah sich um und
entdeckte Sylvia, die einen Einkaufswagen vor sich herschob, der mit
allen möglichen kleinen Töpfen vollgepackt war. Flüchtig versank sie in
einen Tagtraum, malte sich aus, wie sie Sylvia auf verschiedene Weise
die Eibe verabreichen könnte. Allein die Blätter konnten, wenn sie als
Beilage zu einem stark gewürzten Dinner gekaut wurden, etwas auslösen,
das, wenn sie sich nicht irrte, anaphylaktischer Schock genannt wurde.
Andererseits konnte eine langsam gesteigerte Zugabe der pulverisierten
Rinde zu Sylvias Essen ihr Herz kontinuierlich soschwächen,
dass es schließlich stillstand. Wie köstlich!
Nach einer Weile hatte sie genug von den Eibenbäumchen, und
sie machte sich auf die Suche nach Sylvia. Sie fand sie über eine
Auslage von Kamillenpflanzen gebeugt, bemüht, die kräftigsten
herauszusuchen.
»Riechen die nicht wundervoll?«, fragte sie. »Ich finde die
Vorstellung von einem mit Kamillenblüten übersäten Rasen so wunderbar.
Die gedeihen nämlich besonders gut, wenn auf ihnen herumgetrampelt
wird, wissen Sie.«
Und bei manchen Menschen ist es genauso, dachte
Daisy bei sich und sehnte den Tag herbei, an dem sie das Haus im Griff
haben und Sylvia nach ihrer Pfeife tanzen würde. In einem Monat?
Allerhöchstens in drei, wenn sie nichts überstürzte. »Wird Ihnen von
dem Geruch nicht ein bisschen übel?«, fragte sie. »Ich glaube, das ist
nicht ganz das Richtige für Ihren Garten. Sehen wir uns doch nach etwas
anderem um.«
»Wenn Sie wirklich meinen …« Sylvia schien leicht
gekränkt durch Daisys Reaktion.
»Ja, das tue ich. Sie werden es mir noch danken.« Als sie sich
zu dem Einkaufswagen umwandte, bemerkte sie die Riesenmenge Pflanzen,
die Sylvia schon zusammengesucht hatte. »Sind Sie sicher, dass Sie sich
all das leisten können?«, fragte sie.
»Oh ja.« Sylvia lächelte, und die Kränkung schien vergessen.
»Mein Mann hat mich sehr gut versorgt zurückgelassen. Die Witwenrente,
die ich jeden Monat kriege, ist mehr als das, was ich verdient habe,
als ich noch gearbeitet habe. Ich weiß gar nicht, was ich mit all dem
Geld machen soll.«
Und das, fand Daisy, war die beste Nachricht der ganzen
letzten Woche.
Während Sylvia weiter zwischen den Staudenpflanzen
herumschlenderte, ging Daisy zu einer hübschen Auslage von
Rhabarberstauden hinüber, die ihre Blätter spreizten und sanft im
Sonnenschein nickten. So eine vernachlässigte Pflanze. Wer buk denn
heute noch Rhabarberkuchen oder kochte Rhabarbergrütze? Und wusste noch
irgendjemand, dass die Stängel zwar köstlich, die Blätter aber
hochgiftig waren, wenn sie mitgekocht wurden? Da war Oxalsäure drin,
glaubte sie.
Als Daisy sich von dem Rhabarber abwandte, sah sie Sylvia in
ein Gespräch mit einem Mann in Blazer und scharf gebügelten Hosen
vertieft. Sie diskutierten die verschiedenen Vorzüge von Günselkraut
oder
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