Kaltgestellt
machte ein Gesicht, das eine Mischung aus Stirnrunzeln und Lächeln war.
»Sie wissen ja, ich habe ein gutes Gedächtnis für Kleinigkeiten«, sagte sie und strich sich mit der linken Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Tweed wußte, daß sie naturblond war, denn in Washington hatte sie zwei Jugendfotos von sich aus der Handtasche gekramt und sie ihm gezeigt. Auf beiden war Tweed ihre dicke blonde Mähne aufgefallen. »Ich trage diese Bilder normalerweise nicht mit mir herum«, hatte Sharon erklärt.
»Aber ich möchte sie jemandem geben, der sie für mich einrahmen soll. Sie halten mir vor Augen, daß ich älter werde.«
»Aber nur ganz unwesentlich.«
»Sie schmeicheln.« Während Tweed an diese Begegnung mit Sharon zurückdachte, trank er einen Schluck Kaffee und lächelte seine Gastgeberin an.
»Warum wollten Sie mich sehen?«, fragte er. »Kann ich Ihnen bei irgendwas behilflich sein?«
»Ja, das könnten Sie in der Tat.« Sie blickte ihm immer noch in die Augen.
»Dillon hat der Frau des Präsidenten offenbar erzählt, daß Sie mit Ihren mannigfaltigen Verbindungen hier in England so etwas wie eine Schlüsselposition innehaben. Washington möchte die Verbindungen zwischen unseren beiden Ländern vertiefen, und deshalb dachte ich mir, Sie könnten mich vielleicht von Zeit zu Zeit einigen wichtigen Leuten vorstellen.« Tweed verzog keine Miene, trank in aller Ruhe seinen Kaffee und ließ den Blick durchs Büro streifen. Auf Sharons Schreibtisch lag ein Stapel Akten, von denen einige mit einem roten Reiter gekennzeichnet waren. Der Raum hatte nur ein einziges Fenster, das auf eine kleine Seitenstraße hinausführte. Als Sharon ihm nachschenken wollte, nachdem er seine Tasse leer getrunken hatte, lehnte er höflich ab.
»Sie sollten sich vielleicht um ein Büro mit Blick auf den Platz bemühen«, sagte er.
»Oh, ich bin lieber hier hinten, da habe ich meine Ruhe. Osborne hat natürlich ein Büro von der Größe eines Tennisplatzes mit Aussicht auf den Grosvenor Square, aber das ist nicht mein Ding. Aber reden wir doch von Ihnen, Tweed. Wie läuft es im Versicherungsgeschäft? Sie verdienen damit wahrscheinlich eine Menge Geld.«
»Eigentlich nicht. Sie sind bestimmt viel wohlhabender als ich. Vier Ehemänner – das muss ja die reinste Achterbahnfahrt gewesen sein.«
»Da haben Sie nicht ganz Unrecht«, sagte Sharon nach einer langen Pause.
»Als meine Eltern mich in die Staaten brachten, habe ich schnell erkannt, daß mein englischer Akzent mir bei erfolgreichen Männern Tür und Tor öffnet. Wenn man jung ist, schmeichelt einem so etwas ungemein. Tja, ich habe diesen Vorteil wohl schamlos ausgenützt. Verurteilen Sie mich deshalb?«
»Nein.«
»Geld ist nicht alles auf der Welt.«
»Wie kommt es, daß Sie nach all den Jahren dort drüben noch immer so ein akzentfreies Englisch sprechen?«
»Ich komme öfter mal hierher zurück und besitze sogar ein kleines Anwesen in Dorset. Manchmal überlege ich mir, ob ich mich dort nicht für immer niederlassen soll. Amerika finde ich alles in allem ziemlich primitiv. Oh, müssen Sie schon gehen? Sie haben soeben auf Ihre Uhr gesehen.«
»Ja, leider. Unsere Unterhaltung war sehr nett, aber jetzt müssen Sie mich leider entschuldigen. Ich habe heute Nachmittag noch eine wichtige Verabredung.«
»Verstehe.« An dem Telefon auf dem Schreibtisch blinkte schon seit einiger Zeit ein rotes Lämpchen, das Tweed in einem Spiegel neben der Tür hatte sehen können. Während er seinen Mantel vom Garderobenhaken nahm, an den Sharon ihn gehängt hatte, stand sie auf und hob den Hörer ab. Sie hörte eine Weile zu, bevor sie antwortete. »Ja, ja, ja. Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe.« Sie legte auf und ging langsam auf Tweed zu, dem wieder einmal auffiel, wie bemerkenswert graziös sie sich bewegte. Sharon gab ihm die Hand.
»Wenn Sie mal Zeit haben, könnten wir uns vielleicht zum Mittag- oder Abendessen verabreden«, sagte sie. »Das wäre mir ein Vergnügen.« Tweed trat hinaus auf den Gang, und nachdem Sharon die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fühlte er sich auf einmal sehr allein. Irgend etwas fand Tweed an der Atmosphäre, die in der Botschaft herrschte, zutiefst beunruhigend. Eigentlich hatte er erwartet, daß es in dem Gebäude zuging wie in einem Ameisenhaufen, aber nun war nirgendwo ein Mensch zu sehen. Als er sich nach einer kurzen Pause kopfschüttelnd in Bewegung setzte, sah er, wie sich auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs eine Tür
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