Kalymnos – Insel deines Schicksals
Nacht verhielten sie sich wie flüchtige Bekannte, die, aus welchen Gründen auch immer, zwar im selben Haus wohnten, aber sonst kaum Gemeinsamkeiten hatten.
Jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang verließ Julie das Bett. Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, bereitete sie das Frühstück vor, das sie gemeinsam mit Doneus in der Küche einnahm, der gleich im Anschluss auf sein Fahrrad stieg und zur Arbeit fuhr und erst am Abend zurückkam. Dann aßen sie zwar gemeinsam, aber ohne sich dabei zu unterhalten - und wenn, dann nur über Belanglosigkeiten. Und da sie auch so gut wie nie ausgingen, verlief ein Tag wie der andere.
Also vertrieb sich Julie die Zeit damit, dass sie sich mit einem guten Buch auf die Veranda setzte oder lange Spaziergänge unternahm. Als ihr das eines Tages zu langweilig wurde, beschloss sie, zur Abwechslung einen Ausflug zum Hafen zu machen. Bis zum nächsten Dorf ging sie zu Fuß. Dort erwischte sie den Bus, der sie nach Kalymnos brachte.
Am Hafen schlenderte sie ziellos die Uferpromenade entlang. Vor den vielen kleinen Bars, im Schatten der Pinien, saßen Männer jeden Alters, tranken retsina und spielten Karten oder tavli.
Julie fand einen leeren Tisch. Kaum hatte sie sich gesetzt, stand auch schon ein freundlich lächelnder Grieche vor ihr und fragte, was er ihr bringen dürfe. Julie bestellte einen Kaffee. „Aber bitte mit viel Milch", fügte sie schnell hinzu, bevor der Kellner wieder in der Bar verschwand.
Während sie auf ihren Kaffee wartete, ließ Julie den Blick zufällig zum Nachbartisch schweifen. Dort saßen drei junge Männer, deren Kleidung sie unschwer als Schwammtaucher erkennen ließ. In ihren Mundwinkeln hingen lässig Zigaretten, die sie nicht einmal aus dem Mund nahmen, wenn sie ihren Wein schlürften.
Wie auf ein geheimes Kommando drehten sich alle drei plötzlich nach Julie um, musterten sie ausgiebig, steckten die Köpfe zusammen und begannen herzhaft und ungeniert zu lachen.
Julie war drauf und dran, aufzustehen und das Lokal zu verlassen. Anscheinend wusste inzwischen jeder um sie und ihre Ehe mit Doneus. Lebte sie nicht lange genug auf der Insel, um zu wissen, dass hier nichts geheim blieb? Und wenn eine wohlhabende Engländerin einen einheimischen Schwammtaucher heiratete, war das mit Sicherheit ein Thema, über das an den Stammtischen viel und oft diskutiert wurde.
Aber noch bevor Julie zu einem Entschluss gekommen war, wurde ihr die Entscheidung auch schon abgenommen. Denn erst brachte der freundliche Kellner den Kaffee, und kaum war er wieder gegangen, setzte sich einer der drei Männer, ohne um Erlaubnis zu fragen, an ihren Tisch und strahlte sie unverhohlen an. „Gefällt es Ihnen auf Kalymnos?"
„Sehr gut", antwortete sie, auch wenn sie sein Verhalten als aufdringlich empfand.
„Dann haben Sie also vor, hier zu bleiben?"
„Warum interessiert Sie das?" Sie reagierte bewusst ein wenig unfreundlich. Die Neugier ihres Gegenübers ging ihr dann doch ein bisschen zu weit.
So einfach ließ sich der Fremde jedoch nicht abwimmeln. „Weil ich Ihren Mann gut kenne. Sie sind doch Mr. Doneus' Frau, nicht wahr?" Dabei grinste er und zog an seiner Zigarette.
Julie nickte, griff verlegen nach ihrer Tasse und nippte an ihrem Kaffee, als ihr plötzlich ein junger Mann von höchstens dreißig Jahren auffiel, der sich auf Krücken über die Straße schleppte und dabei alle Mühe hatte, den Korb, den er in einer Hand hielt, nicht fallen zu lassen.
Der Anblick, vor allem aber der Gedanke, den er auslöste, schnürte Julie die Kehle zu.
„War der Mann dort drüben auch Schwammtaucher?" fragte sie ihren Tischnachbarn.
„Früher ja", erhielt sie die bittere Antwort. „Sogar einer der besten. Bis i thalassa Tribut gefordert hat. Das Meer kann so sanft, aber auch so grausam sein."
Unvermittelt stellte der Mann mit den Krücken den Korb ab, formte die Hände vor seinem Mund zu einem Trichter und begann laut zu rufen.
„Warum macht er das?" wollte Julie wissen.
„Er verkauft Eier", erklärte ihr Gegenüber und zuckte die Schulter. „Aber wer will hier schon welche kaufen. Die meisten halten sich doch selbst Hühner."
„Würden Sie ihn bitte an unseren Tisch rufen? Ich möchte ihm einige abkaufen."
„Sie ...?" Ungläubig sah er Julie an. „Da wird sich Mr. Doneus aber wundern."
Er hatte nicht ganz Unrecht mit seinem Einwand, denn Doneus brachte tatsächlich täglich frische Lebensmittel vom Schloss mit. Aber Julie ging es auch weniger darum, dem
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