Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Even Anne; Holt Holt
Vom Netzwerk:
Er war davon ausgegangen, dass sie nur zu zweit sein würden. Jedenfalls war es wohl noch zu früh, um sich an den Esstisch zu setzen.
    »Prost«, sagte Morten Mundal und hob sein Glas. »Wir setzen uns auf die Terrasse. Dieses Wetter ist doch total krank, oder?«
    Er griff zur Fernbedienung, und eine Sekunde darauf öffneten sich die Glastüren mit einem leisen Summen.
    Sverre Bakken lachte ein wenig angespannt.
    »Also wirklich! Was ist das für eine Wohnung!«
    »Die Hälfte hab ich vor vielen Jahren günstig gekauft«, antwortete Morten Mundal. »Hab sie renoviert und bin seither wohnen geblieben.«
    Er ging auf die Dachterrasse und zeigte auf zwei Glasstühle, zwischen denen ein Glastisch stand. Die Sonne schaute noch immer über die Dächer im Westen, und das Licht war so grell, dass Sverre die Sonnenbrille aus der Brusttasche zog und aufsetzte.
    »Dann kam die Finanzkrise«, sagte Morten Mundal. »Im Herbst 2008 brach der Immobilienmarkt mit einem Riesenknall zusammen, das weißt du sicher noch. Und in diesem Moment stellten meine Nachbarn fest, dass sie einander nicht ausstehen konnten, obwohl sie verheiratet waren und ein vier Jahre altes Kind hatten. Sie mussten einfach verkaufen. Ich übernahm für wenig Geld, und seither habe ich meine Zeit damit verbracht, mich zunächst mit der Stadt zu streiten, ob ich die beiden Wohnungen zusammenlegen darf, danach mit den Handwerkern. Ich habe beide Fights gewonnen, um das mal so zu sagen.«
    Er lächelte strahlend, setzte sich und wies auffordernd auf den anderen Stuhl.
    »Mercury sorgt für seine Leute«, sagte er und hob sein Glas.
    Sverre Bakken gab keine Antwort. Er trank einen Schluck und berechnete in Gedanken, was eine solche Wohnung wert sein mochte. Er hatte noch nie eine so große und elegante Wohnung mitten im angesagtesten Teil der Stadt betreten. Als Morten ihn zum Essen eingeladen und die Adresse genannt hatte, hatte Sverre Bakken es seltsam gefunden, dass Mercury Medicals Nordeuropachef in Løkka wohnte. Im Vorjahr hatte er das Einkommen seines Chefs erfahren, als die Steuerlisten ins Netz gestellt worden waren: Morten verdiente über drei Millionen im Jahr. Er gehörte in ein Haus mit Fahrstuhl und Tiefgarage.
    Jetzt, mit einem Glas in der Hand und mit der Abendsonne im Gesicht, auf einer nicht einsehbaren Dachterrasse, fand er das alles überzeugender.
    »Der Kurs ist heute um 0,8 Prozent gestiegen«, sagte er und schaute trotz der Brille mit zusammengekniffenen Lidern zum Himmel.
    »Mercurys Kurs steigt immer«, erwiderte Morten. »Und deshalb kann das hier überhaupt nicht schiefgehen.«
    Sverre Bakken fühlte sich in Mortens Gesellschaft noch immer nicht ganz wohl. Als er eines Freitagnachmittags im Spätwinter gefragt worden war, ob sie »ein Bier zischen« sollten, hatte er nicht begreifen können, warum der oberste Chef sich mit einem Programmierer wie ihm abgeben wollte. Er hatte natürlich dankend angenommen, alles andere wäre nicht sonderlich klug gewesen. Beim zweiten Bier hatte er sich von dem Gedanken gelöst, dass das hier ein Aufreißversuch sein sollte. Sverres Zwillingsbruder war schwul, und sein Radar für diese Dinge war äußerst zuverlässig.
    »Apropos Optimismus«, sagte Morten und stellte vorsichtig sein Glas auf den kleinen Tisch. »Hat Ingunn sich in der Frage mit den Kindern geschlagen gegeben?«
    Sverre Bakken gab keine Antwort.
    Er wollte nicht über seine Scheidung reden und leerte sein Champagnerglas mit einem einzigen Zug. »Eigentlich nicht«, sagte er schließlich.
    Der Alkohol traf ihn unerwartet schnell. Ein einziges Glas spürte er sonst kaum. Trotzdem lehnte er nicht ab, als Morten die Flasche aus dem Kühler auf dem Boden nahm und das Glas abermals füllte.
    »Das wird alles besser«, sagte Morten gelassen. »Sieh dir das mal an.«
    Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus der Brusttasche und reichte ihn seinem Besuch.
    Sverre faltete ihn auseinander und legte ihn auf seinen Oberschenkel. »Ich bin Ingenieur«, sagte er. »Kein Aktienmakler. Was bedeutet das?«
    Morten lächelte, hielt sein Gesicht in die Sonne und schloss die Augen. »Mercury wurde vor neun Jahren gegründet«, sagte er leise. »Das sind etwa 3200 Tage. Was du in der Hand hältst, ist eine Übersicht über die Tage, an denen die Aktienkurse bei Börsenschluss beträchtlich niedriger lagen als bei Handlungsbeginn. Dreihundertfünfzig Tage, Sverre!«
    Er setzte sich auf und beugte sich über den Glastisch vor. »Dreihundertfünfzig Tage. Nur

Weitere Kostenlose Bücher