Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
sie diesen offensichtlich unnützen, weltfremden und unrealistischen Konsens-Unsinn selbstverständlich ablehnen.
Das Organisieren von massenhaften Aktionen – von »Festivals des Widerstands«, wie sie häufig genannt werden – kann als pragmatisches Experiment angesehen werden. Beantwortet werden soll die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, die Befreiungserfahrung, das euphorische Neuausrichten der imaginativen Fähigkeiten – und damit all das, was das Erlebnis eines erfolgreichen spontanen Aufstands am nachhaltigsten prägt – zu institutionalisieren. Oder, falls eine solche Erfahrung nicht institutionalisiert werden kann, sie vielleicht auf Abruf zu erzeugen? Bei den daran Beteiligten entsteht in solchen Fällen der Eindruck, als geschähe alles in umgekehrter Reihenfolge. Ein revolutionärer Aufstand beginnt mit Straßenkämpfen und führt, falls er erfolgreich verläuft, im Anschluss zu einem Ausbruch allgemeiner Begeisterung und fröhlichem Treiben. Dann erst geht man zu der nüchternen Aufgabe über und schafft neue Institutionen, Räte und Entscheidungsfindungsprozesse und erfindet letztlich das Alltagsleben neu. Dies ist zumindest die Idealvorstellung; und mit Sicherheit hat es in der Geschichte der Menschheit Augenblicke gegeben, in denen sich Ähnliches abgespielt hat. Allerdings wurden solche spontanen Schöpfungen letztlich immer von neuen Formen gewaltsamer Bürokratie absorbiert, was jedoch, wie bereits erwähnt, unvermeidlich ist. Denn die Bürokratie dient zwar dazu, Situationen der Macht und der strukturellen Blindheit unmittelbar zu gestalten, sie bringt diese aber nicht aktiv hervor. Bürokratie entsteht in der Regel schlicht zu deren Bewältigung.
Dies ist einer der Gründe dafür, dass man bei direkten Aktionen in umgekehrter Richtung vorgeht. So entstammt vermutlich die Mehrzahl der daran beteiligten Personen diversen Subkulturen, deren Hauptziel es ist, das Alltagsleben neu zu erfinden. Doch selbst wenn nicht, werden Aktionen üblicherweise dadurch eingeleitet, dass zunächst neue Formen der
kollektiven Entscheidungsfindung wie Räte oder Versammlungen geschaffen werden. Zugleich wird dem eigentlichen »Prozess« enorme Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Formen werden dann benutzt, um die Straßenaktionen und Festivitäten zu planen. Als Ergebnis hiervon kommt es meist zu einem dramatischen Zusammenstoß mit den bewaffneten Vertretern des Staats. Die meisten Organisatoren wären nun entzückt, wenn sich die Lage hochschaukeln und daraus ein Volksaufstand entstehen würde. Gelegentlich geschieht dies sogar. Kaum einer würde jedoch erwarten, dass sich daraus irgendwelche dauerhaften Brüche in der Realität ergeben. Derartige Aktionen dienen eher als kurzzeitige Werbung – oder besser gesagt als Vorgeschmack beziehungsweise Erfahrung eines visionären Inspiriertseins – für einen viel langsamer voranschreitenden, mühsamen Kampf zur Schaffung alternativer Institutionen.
Zu den wichtigsten Verdiensten des Feminismus gehört meiner Ansicht nach, dass er uns permanent vor Augen hält, dass »Situationen« nicht aus sich selbst heraus entstehen, sondern normalerweise mit sehr viel Arbeit verbunden sind. Sehr häufig hat sich in der Geschichte der Menschheit das, was gemeinhin als Politik gilt, im Grunde genommen als eine Reihe schauspielerischer Inszenierungen auf Theaterbühnen abgespielt. Insofern hat der Feminismus die politische Theorie auch dadurch bereichert, dass er uns fortwährend die Menschen vor Augen hält, die diese Bühnen tatsächlich bauen, herrichten und saubermachen und darüber hinaus die unsichtbaren Strukturen aufrechterhalten, die diese erst ermöglichen. Dabei handelt es sich mit überwältigender Mehrheit um Frauen. Innerhalb des üblichen politischen Prozesses werden diese Menschen natürlich ausgeblendet. Eine der Hauptfunktionen der Frauenarbeit besteht ja gerade darin, möglichst
nicht wahrgenommen zu werden. Das derzeitige politische Ideal in Kreisen, die auf direkte Aktion setzen, könnte daher als Versuch beschrieben werden, diesen Unterschied auszulöschen. Anders ausgedrückt, eine Handlung wird dann als genuin revolutionär angesehen, wenn der Prozess der Schaffung von Situationen als genauso befreiend empfunden wird wie die Situationen selbst. Man könnte es als experimentelle Neuausrichtung der Imagination beschreiben, als Experiment, das darin besteht, echte nichtentfremdete Formen der Erfahrung hervorzubringen.
Fazit
Natürlich ist es
Weitere Kostenlose Bücher