Kampf für Freiheit
selbstbewusst wie möglich zu klingen, als er antwortete. »Ich bin schon einmal auf einem Schiff gewesen, mein Herr. Ich bin sicher, mir wird alles wieder einfallen.«
Der Kapitän kratzte sich am Kinn, trat zum Mast, packte eines der Taue und wandte sich Marcus zu. »Nun denn, mein junger Matrose, wie heißt denn das hier?«
Marcus besah sich das Tau, verfolgte es dann mit den Augen den Mast hinauf, bis er es unter all den anderen Seilen und Flaschenzügen aus dem Blick verlor. Sein Mut sank ihm, als er sich wieder dem Kapitän zuwandte. »Ich kann mich nicht erinnern, mein Herr.«
»Dummes Zeug! Also, eines ist klar, du bist kein Matrose. Du kannst das eine Ende eines Schiffes nicht vom anderen unterscheiden.«
»Aber ich muss nach Rom!«, protestierte Marcus. »Ich esse nicht viel und ich kann hart arbeiten.«
»Das vielleicht, aber nicht auf meinem Schiff.« Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht brauchen, Junge. Nicht, ehe du ein bisschen Erfahrung auf einem Segelschiff gesammelt hast. Und jetzt mach, dass du von Bord kommst, ehe ich dir eine Tracht Prügel verpasse.«
Marcus nickte. Er ging vorsichtig ein paar Schritte zurück, machte dann schnell auf dem Absatz kehrt und rannte über den Landungssteg zum Kai hinunter. Es war Mittag vorbei. Die Pflastersteine unter seinen nackten Füßen waren glühend heiß. Er flitzte in den Schatten eines Lagerhauses, wo ein zartes Gewürzaroma mit dem Gestank von Fisch, Schweiß und Abwasser wetteiferte. Trotz der Gluthitze wimmelte es am Kai vor Menschen: Träger, Matrosen, Händler, Straßenverkäufer und Fischer machten sich auf dem breiten Durchgangsweg beim Wasser zu schaffen. Marcus beobachtete sie einen Augenblick und schaute dann hinaus zu den vielen Masten und Takelagen, die über den Köpfen der Menge aufragten. Schiffe gab es hier wahrhaftig genug. Aber wie sollte er an eine kostenlose Überfahrt nach Italia kommen? Wenn sich das als unmöglich erwies, beschloss Marcus, dann musste er eben als blinder Passagier mitfahren.
Den größten Teil des Morgens hatte er damit verbracht, von einem Schiff zum anderen zu gehen und herauszufinden, welche über das Adriatische Meer segeln würden. Dann hatte er sich erkundigt, ob er mitreisen und für seine Überfahrt arbeiten könnte. Doch niemand hatte Verwendung für einen zehnjährigen Jungen. Einige hatten ihn barsch abgewiesen, andere waren misstrauisch geworden, und ein Kapitän hatte ihn gar ohne Umschweife gefragt, ob er etwa ein entlaufener Sklave wäre. Das hatte Marcus natürlich geleugnet, und dann hatte er sich entschuldigt und sofort das Schiff verlassen. Es war ihm klar, dass er vorsichtiger vorgehen musste. Decimus würde wohl eine Belohnung für die Rückgabe eines entlaufenen Sklaven aussetzen, und ebenso wären die Bauern sicher erpicht darauf, den Dieb zu fassen, der die Schuld daran trug, dass ihre Vorratsscheune in Flammen aufgegangen war.
Marcus hatte noch einen halben Laib Brot und etwas Käse übrig. Diese Reste zog er aus seiner Tunika und begann niedergeschlagen darauf herumzukauen. Wenn er das aufgegessen hatte, blieb ihm gar nichts mehr, bis er eine Möglichkeit fand, sich etwas Geld zu verdienen oder auf einem Schiff anzuheuern. Bis dahin würde er weiter stehlen müssen. Schon beim bloßen Gedanken daran verspürte Marcus wieder Gewissensbisse. Nicht zum ersten Mal verfluchte er Decimus, der an seiner aussichtslosen Lage schuld war. Als er fertig gegessen hatte, füllte Marcus seinen Wasserschlauch am öffentlichen Brunnen und ließ sich dann im Eingangsbereich eines mit Brettern vernagelten Ladens nieder, um sich ein wenig auszuruhen.
Allmählich wurde die Hitze des Nachmittags stickig. Am Kai ließ die Betriebsamkeit nach, weil die Leute fortgingen, um ein, zwei Stunden Mittagsruhe zu halten. Die Träger verzogen sich in die schattigen Lagerhäuser. Einige würfelten, während andere aßen oder schliefen. Auch an Bord der Schiffe legten die Mannschaften eine Pause ein und lagerten an Deck, wo immer sie Schatten finden konnten. Schon bald war alles ruhig und nur eine Handvoll Menschen machte sich noch am Kai zu schaffen. Marcus begriff, dass es wahrscheinlich die beste Möglichkeit war, an Bord eines Schiffes zu gelangen, während die Matrosen dösten. Er schüttelte die Krümel von seiner Tunika und stand auf. Das Deck der Morgenwind sah völlig menschenleer aus. Marcus spazierte ganz lässig am Kai entlang und beobachtete das Schiff aus dem Augenwinkel. Er hatte
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