Kanaken-Gandhi
der missratene Osi von ganz hinten. »Russisch Roulette, Spannung pur für harte Männer. Der erste Schuss war für mich, jetzt bist du dran. Mal sehen, wer von uns beiden zuerst eine Kugel verpasst bekommt«, macht er dem anständigen Osi Angst.
»Was ist, willst du jetzt endlich unterschreiben? Oder soll ich mit dem Spielchen weitermachen?« höhnt Rudolf und hält mir die Pistole zur Abwechslung zwischen die Augen.
»Warten Sie noch einen Moment. Sie wollten doch, dass ich mich von meinen Lieben verabschiede. Also da wäre noch mein Sohn Mehmet, dieser linksradikale Chaot macht mir nichts als Sorgen. Ich weiß nicht, wofür Allah mich bestrafen wollte, als er mir diesen Sohn gab!«
»Ich drücke jetzt ab, wenn du nicht unterschreibst!«
Klack!!
Es ist eigenartig, seitdem er meinen Kopf mit der Pistole traktiert, bin ich so aufgeregt, dass ich keine Schmerzen mehr spüre. »Mensch, mach doch nicht so ein Gesicht. Das ist doch spannender, als aufgehängt zu werden wie ein Stück Vieh«, ruft der gehässige Osi.
»Herr Rudolf, ich möchte mich auch von meiner kleinen Tochter Hatice verabschieden. Das Kind ist einfach zu intelligent für sein Alter. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft die Kleine mich schon ausgetrickst hat. Dann haben wir da noch der Recep, meinen Erstgeborenen. Meine ältere Tochter Nermin macht mir in letzter Zeit allerdings einige Sorgen. Sie glauben ja nicht, wie schwierig Mädchen in der Pubertät sind ...
»
»Also, gibst du jetzt endlich nach? Oder soll ich weiterschießen?«
»Jetzt drängeln Sie doch nicht so, Herr Rudolf...«
»Ich schieße, du Kaffer!«
»Nur zu, man gönnt sich ja sonst nichts«, ruft der unverschämte Osi, so laut, dass Rudolf es fast hören kann.
Klack!!
»Du Idiot! Sei doch endlich vernünftig!« schimpft Rudolf total wütend.
»Lass es nicht drauf ankommen. Zwing mich nicht dazu, dein Gehirn wegzupusten!«
»Beruhigen Sie sich doch, Herr Rudolf. Ich bin völlig vernünftig. Deshalb möchte ich mich von Opa Prizibilsky und Oma Fischkopf mit lieben Grüßen verabschieden. Und dann wären da noch ... «
In dem Moment wird die Zellentür aufgerissen. Und der Schnurrbart kommt hereingestürmt.
»Rudolf, der Chef ist am Telefon, du sollst sofort hochkommen!«
»So ein Saftladen«, ruft Rudolf verärgert, »kann man denn seine Arbeit hier nie in Ruhe beenden?!«
Wegen des schrecklichen Gestanks in meiner Zelle kann Rudolf zum Glück nicht wahrnehmen, dass ich mir vor lauter Angst in die Hosen gemacht habe.
Montag, 25. Juni, 10:45 Uhr
»Mein Gott, Herr Engin, wie sehen Sie denn aus? Sie sind ja mehr tot als lebendig!« ruft Frau Tanja mit kreidebleichem Gesicht, als sie mich in dem Bürocontainer auf dem Gefängnishof sieht.
»Keine Ahnung. Ich weiß wirklich nicht, wie ich aussehe. In meiner Zelle gibt’s keine Spiegel. Die letzten zwei Tage habe ich nur geschlafen. Ich bin nur ein paar Mal kurz aufgeweckt worden.«
»Aber Sie sind am ganzen Körper grün und blau, um nicht zu sagen schwarz!«
»Das ist gut möglich. Die netten Kollegen hier haben sich viel Mühe gegeben, damit ich wie ein richtiger Inder aussehe. Aber weil sie etwas übereifrig waren, sehe ich jetzt aus, als käme ich aus Zentralafrika.«
»Man könnte glauben, Sie hätten soeben einen schweren Verkehrsunfall überlebt und wären auf dem Weg zur Intensivstation. Außerdem kann ich kaum ein Wort verstehen von dem, was Sie sagen. Was ist denn mit Ihren Zähnen passiert?«
»Oh, da gab’s ein kleines Missgeschick. Und einer der Kollegen hat aus Versehen darauf getreten.«
»Das trifft sich ja gut, ich habe seit sechs Monaten ein Gebiss in meinem Aquarium liegen«, ruft der Vorposten dazwischen,
»das müsste dir eigentlich passen. Denn das gehörte auch einem Asylbruder von dir.«
Ich kratze die Algen von dem Gebiss ab und stecke es in den Mund.
»Chef, die fremden Zähne sind ein bisschen zu groß. Sie drücken da hinten ein wenig. Bei meinen eigenen hatte ich das gleiche Problem. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.«
»Igitt, Herr Engin, wie können Sie nur?« ekelt sich meine Besucherin.
»Frau Tanja, was wollen Sie denn? Die sind sauberer als meine eigenen, die waren sechs Monate im Wasser«, und rufe danach dem Vorposten zu: »Bitte danken Sie dem edlen Spender in meinem Namen«, wobei mir die fremden Zähne im Mund klappern.
»Aber das Ding muss doch ekelhaft riechen!« sagt Frau Tanja angewidert, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie in eine
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