Kanaken-Gandhi
eine Zigarette an und steckte sie mir in den Mund. Ich weiß nicht mal, wie man normalerweise eine Zigarette hält.
Aber mit den Handschellen auf dem Rücken geht es ganz schlecht. Als ich dann zu husten anfing, als würde ich ersticken, taten mir die Stellen, auf die ich geschlagen worden war, doppelt weh - also der ganze Körper. Durch das Husten fiel die Zigarette in den Schlamm. Zum ersten Mal tat es mir leid, dass ich Nichtraucher bin. Man sagt ja, dass die »Zigarette danach«
im Bett besonders toll schmecken soll, wo man dabei doch nur ein paar Gramm Eiweiß und etwas Schweiß verliert. Wie unglaublich gut müsste dann eigentlich die »Zigarette nach Folter« schmecken, wo man doch fast sein Leben verliert?
Unerträglich gut!! Das einzig Positive daran, dass sie mich so zusammengeprügelt haben, ist, dass sie es sich nicht mehr leisten können, mich in diesem Zustand per Flugzeug auszuweisen. Falls sie es doch täten, würden selbst indische Piloten sich weigern, das Flugzeug mit mir zu starten.
»Ich hätte nicht gedacht, dass der alte Knacker uns so zum Narren hält«, schimpfte der Schnurrbart beim Rausgehen und nahm mir die Handschellen ab.
»Ach, mit dem bin ich noch längst nicht fertig. Ich warte nur bis morgen, am Sonntag haben die ganzen Weicheier dienstfrei.
Die Chefs sind auch nicht da, und bis dahin kann der Kerl auch wieder alleine laufen. Sobald er wieder lebt, knöpfe ich ihn mir noch mal vor.«
Dann war ich wieder allein. Und dieser Rudolf hatte ziemlich Recht, ich lebte nämlich kaum noch. Kurze Zeit danach war ich wieder weg! Ganz weg! Ich weiß nicht, für wie lange. Ich muss nur zwischendurch kurzfristig unter den Lebenden gewesen sein, als der stoppelbärtige Arzt mir ein paar Spritzen verpasste und mein verletztes Ohr ohne Betäubung erneut nähte. Und dies wahrscheinlich nur, um mich dazu zu zwingen, ein Lebenszeichen von mir zu geben. Gleich danach war ich wieder weg! Vermutlich recht lange.
Irgendwann wurde ich durch eine starke Erschütterung wach gerüttelt. Alles wackelte. Draußen auf dem Flur hörte ich laute Schritte und Schreie. Für kurze Zeit glaubte ich, in der Türkei zu sein. Das war ein Erdbeben! In Deutschland soll es doch so was gar nicht geben! Aber durch meine wässrigen Augen und verklebten Wimpern konnte ich sehen, dass alle Wände vibrierten. Sogar die Ratten quiekten hysterisch. Seit 30 Jahren lebte ich nun in Deutschland, aber ausgerechnet jetzt, wo man mich wie eine Heuschrecke in einer Streichholzschachtel eingesperrt hatte, da bebte die Erde. Und wie ich befürchtete, extra für mich gemacht. Durch die Schläge, die Spritzen und die Einzelhaft war ich die Ruhe in Person. Ich hörte die lauten Hilferufe der anderen Gefangenen. Das Gebäude drohte einzustürzen, und wir durften nicht raus! Statt dessen betrachtete ich wie in Trance das Geschehen. Der Putz rieselte von der Decke, und ich wettete mit mir selbst, an welcher Wand zuerst Risse entstehen würden. Aber ich hoffte insgeheim, dass die mittelalterlichen Gefängniswände erdbebensicher seien. Mit dem Nachlassen der Erschütterungen schwand auch mein Bewusstsein, und ich sank wieder ins Nichts. Es kommt mir alles wie im Traum vor. Ich bin mir nicht mal sicher, ob die Erde wirklich bebte oder ob mein gequälter Körper fantasiert hat? Oder ob ich mir im Unterbewussten gewünscht habe, dass diese ganze ungerechte und sinnlose Welt um mich herum einstürzen möge ...
»Das schmeckt aber komisch, Eminanim, das ist aber keine Bohnensuppe«, beschwere ich mich bei meiner Frau. »Du kochst doch sonst auch immer mein Leibgericht, wenn ich krank bin.«
Während sie den großen Metalllöffel in meinen Mund ausleert, sagt sie mit tiefer, männlicher Stimme:
»Bohnensuppe gibt’s hier selten. Bei uns gibt’s dafür öfters Erbsensuppe.«
Verdutzt öffne ich mit reichlich Mühe meine Augen.
»Aber Sie sind ja gar nicht meine Frau! Sie sind ja der Wärter Manfred von der Nachtschicht.«
»Na, das wird aber auch Zeit, dass du langsam zu dir kommst.
Ich dachte schon, dass du gar nicht mehr wach wirst.«
»Danke, dass Sie mir helfen. Ihre Suppe schmeckt wirklich gut.«
»Ja, und das heute nacht schon zum dritten Mal.«
»Was ist zum dritten Mal?«
»Ja, die letzten beiden Male hast du alles runtergeschluckt, ohne etwas davon zu merken.«
»Danke, das war sehr nett von Ihnen. Aber mir geht’s immer noch nicht so gut. Wie spät haben wir es eigentlich? Mir tut alles weh, als hätten die mich wirklich vom
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