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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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nicht zu trösten. Ich weiß selbst, dass ich ein lebender Toter bin.
    Ich bin ein Toter auf Abruf! Ihr erster Eindruck im Gefängnis war doch der gleiche: Sie sagten, Herr Engin, Sie sind ja mehr tot als lebendig!«
    »Aber ich bitte Sie, das war doch nur eine harmlose Redewendung. In erster Linie war das als Vorwurf gegenüber diesen Gefängniswärtern gemeint. Ich habe doch gleich gesehen, was die Ihnen angetan haben. Und das wollte ich denen damit auch an den Kopf knallen ...
    »An den Kopf haben sie mir eine Pistole gehalten und abgedrückt. Aber zum Glück waren keine Kugeln drin. Aus dem achten Stock wollten die mich runterschmeißen. Aber der Wind kam nicht vom Fenster, sondern aus dem Ventilator. Ich wollte freiwillig in den Tod springen. Ich wurde aufgehängt und geschlagen. Man hat mich beschimpft, getreten ...«

    »Bitte hören Sie auf, Herr Engin. Ich kann das nicht mehr mit anhören. Sie müssen das jetzt alles vergessen. Ihre Frau und Ihre Kinder werden Sie in der Wohnung von Recep so liebevoll pflegen, dass in zwei Tagen von Ihren blauen Flecken nichts mehr zu sehen ist.«
    »Nein, nein, nein, ich will da nicht hin! Ich will nicht, dass meine Kinder mich so sehen! In dem Zustand gehe ich nicht in Receps Wohnung.«
    »Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Herr Engin. Gerade für solche Zeiten hat man doch seine Familie. Wo wollen Sie denn sonst hin? Sollten wir lieber nicht wieder zum Arzt zurückfahren? Damit wir Ihre Verletzungen behandeln und protokollieren lassen!«
    »Nein, nein, damit erreichen wir doch nichts. Außerdem habe ich dem Arbeitsamt-Necmeddin versprochen, dass ich heute Mittag bei der Putzkolonne mitarbeite. Sie können mich bis zur Wohnung von Recep mitnehmen, von dort aus fahre ich dann mit meinem Ford-Transit zur Arbeit. Hoffentlich fährt nicht Mehmet wieder damit rum.«
    Genau in dem Moment trifft mich der Schlag! So brutal und hart, wie Rudolf der Folterer, niemals schlagen könnte.
    »Frau Tanja, halten Sie mal sofort an! Ich glaube, ich sehe nicht recht! »
    Bei Allah, falls ich zur Zeit - entgegen aller Vorhersagen -
    doch noch etwas leben sollte, dieser Anblick lässt mich unweigerlich innerhalb der nächsten vierzig Stunden sterben!
    Was auch bestimmt das Beste wäre. Denn jetzt hat das Leben endgültig jeden Reiz für mich verloren. Das Leben ist sinnlos!
    Ich kann nicht mehr! Ich will nur noch sterben! Ich will wieder in mein Gefängnis zurück. Diesen Alptraum, der sich meinen entsetzten Augen bietet, kann ich kaum in Worte fassen und beschreiben. Ich stehe vor der größten Enttäuschung und dem grauenhaftesten Schandfleck in der Geschichte meines 52jährigen Osmanischen Reiches: Walter Leckmikowski, mein schlimmster Existenzzerstörer, noch vor Frau KottzmeyerGöbelsberg, Rudolf, dem Folterknecht, Eminanim und diesem linksradikalen Hundesohn Mehmet, steht in der Tür von meinem heißgeliebten Gemüseladen, der bisher Yusuf gehörte.
    Voller Stolz steht er auf der Schwelle und beobachtet mit breitem Grinsen, wie ein Maler die Buchstaben seines Namens an das Schaufenster pinselt: Tante Emma-Laden! Meine jungfräulichen, naiven Träume von einem Geschäft mit dem schönen Namen »Onkel Osman-Laden« zerplatzten wie Luftballons auf einem indischen Nadelbrett!
    »Herr Engin, was ist denn los mit Ihnen, Sie sagen ja gar nichts? Herr im Himmel, Sie sind ja blass wie eine Leiche«, ruft Frau Tanja und versucht dann, den erneuten Patzer wieder gutzumachen: »Ich meine, Sie sind plötzlich so still. Jetzt blicken Sie schon die ganze Zeit auf das Schaufenster von diesem Tante Emma-Laden, als stände dort Ihr Todesurteil geschrieben ... Pardon, ich meine natürlich, Sie gucken so, wie ein Kaninchen die Schlange anstarrt!«
    »Ach, Frau Tanja, Ihr Beispiel ist völlig harmlos, verglichen mit der Katastrophe, vor der ich hier stehe. Damals in unserem Dorf hatten wir auch viele Giftschlangen, aber von denen hat bisher noch keine einem Kaninchen den Gemüseladen weggebissen.«
    »Ach, wissen Sie, Herr Engin, verglichen mit Stadtschlangen sind Dorfschlangen total harmlos und liebenswert.«
    »Wem sagen Sie das, ich kenne doch diese Stadtschlange Frau Kottzmeyer-Göbelsberg! Ich könnte heulen vor Wut! Den Gemüseladen da drüben hätte ich übernehmen können. Während ich im Knast saß, hat der Kerl mir den Laden weggeschnappt.
    Das ist alles so ungerecht! Fahren Sie los, Frau Tanja, ich will hier weg. Sie können mich zu Recep fahren, da steige ich um in meinen eigenen Wagen. Wir

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