Kanal-Zombies
Stühle hatte sie aus der Wohnung ihrer Großmutter geholt, als diese gestorben war. Den alten Sessel ebenfalls – und den Regalschrank hatte ihnen ein Freund zusammengezimmert. Alles recht schief und krumm, aber der kleine Fernseher rutschte wenigstens nicht weg.
Ludmilla beklagte sich auch nicht über die Wohnung. Sie kannte Familien, die zu viert auf diesem engen Raum lebten. Da hatten sie und Alwin es noch gut.
Es gab auch hier einen schmalen Ofen, der gegen die Kälte ankämpfte, aber es nicht schaffte, das Zimmer richtig warm zu machen. Ludmilla fror auch in ihrem dicken Pullover. Aber die Kälte konnte bei ihr auch von innen kommen, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie kein gutes Gefühl. Das neue Abenteuer lag ihr einfach schwer im Magen. Sie konnte sich auch einen negativen Ausgang vorstellen.
Sie hatte das Deckenlicht eingeschaltet, das an manchen Tagen flackerte, als wollte es die Bewohner immer daran erinnern, die Stromrechnung auch pünktlich zu begleichen. An diesem Tag brannte es normal und ohne zu zucken.
Auf einem kleinen Schreibtisch, der noch in das Zimmer hineingequetscht worden war, hatte Alwin seine Unterlagen abgelegt. All die Fotokopien mit den Grundrissen der Unterwelt und ihren verzweigten Wegen und Sackgassen.
Ludmilla ekelte sich schon jetzt vor diesem Gestank, aber ihr Freund war der Meinung, wer reich werden wollte, der musste auch mal leiden. Da hatte sie nichts mehr gesagt.
Doch jetzt war sie beunruhigt. Zweimal innerhalb einer Minute hatte sie schon auf die Uhr geschaut und festgestellt, dass Alwin überfällig war. Er hätte schon längst bei ihr sein müssen. Okay, die abgemachte Zeit war gerade mal um zehn Minuten überschritten, dennoch machte sich Ludmilla Sorgen, und das hing auch mit der Gegend zusammen, in der sie wohnten.
In den vergangenen drei Jahren war sie Unterschlupf für allerlei Gesindel geworden. Es hatte auch Morde innerhalb dieses Umfelds gegeben und viele Raubüberfälle. Manche Menschen nutzten die gewonnene Freiheit eben extrem aus. Was sie sich in früheren Zeiten nicht getraut hatten, schlug nun voll durch.
Nicht dass Ludmilla die Vergangenheit glorifiziert hätte, da war sie ein Teenager gewesen, aber mit der Entwicklung mancher Menschen konnte sie einfach nicht einverstanden sein.
Ein Handy, dachte sie. Ein Handy wäre jetzt gut gewesen. Zu teuer für sie. Ihr Freund besaß einen solchen Apparat. Sie sollte später eines bekommen.
Es war zwar nicht unbedingt kälter geworden, Ludmilla fror trotzdem. Es lag auch an ihrer inneren Kälte, und damit verbunden war die Furcht vor dem Kommenden. In ihr hatte sich eine starke Spannung aufgebaut. Mehr als ein Mal rieselte es ihr kalt den Rücken hinab. Das hörte erst auf, als sie vom Flur her eine bestimmte Schrittfolge hörte.
Alwin kam – endlich.
Sie kannte seine Schritte, seinen Gang. Er konnte nie langsam gehen. Bei ihm sah jedes Gehen hektisch aus, und wenn er mal ruhig war, musste er sich stark zusammenreißen.
Bevor er öffnen konnte, hatte Ludmilla die Tür schon aufgezogen. »Endlich, Alwin. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Das brauchst du nicht«, sagte er schnell. Er lief an ihr vorbei und stellte seinen Rucksack ab, den er bisher in der Hand gehalten hatte.
Ludmilla hatte die Tür geschlossen und sich gedreht. Beide schauten sich jetzt an. Sie sah ihrem Freund die Aufregung sofort an. Nicht dass er trotz der Kälte schwitzte, doch sein Gesicht war gerötet und er hatte die rechte Hand zur Faust geballt. »Das letzte Rätsel ist gelöst, Ludmilla. Wir haben es gepackt!«
Sie war etwas verwundert und schüttelte den Kopf. »Wie – was soll das heißen?«
Alwin antwortete nicht sofort. Seine Augen bekamen einen schwärmerischen Glanz. »Ich habe es gewusst«, flüsterte er seiner Freundin ins Gesicht, »ich habe es immer gewusst. Und jetzt habe ich den Beweis bekommen. Es gibt ihn.«
»Wen?«
»Den Bonzen-Schatz!«
»Bitte?«
»Ja, ja.« Er nickte heftig. »Du hast richtig verstanden. Es geht um den Bonzen-Schatz unten in den Höhlen.« Er atmete tief ein. »Wir wissen, wo er ist. Ich habe noch mal in den alten Unterlagen nachgeschaut und mir den genauen Weg aufgezeichnet. Ich weiß, wie wir ihn gehen müssen.«
Der jungen Frau fiel es schwer, die Euphorie zu teilen. Sie gab zunächst keinen Kommentar ab und streichelte das Gesicht ihres Freundes, das von einem dunklen Bart umgeben war. Ebenso dunkel wie seine Haare, die ziemlich lang wuchsen. Die Ohren waren nicht zu sehen,
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