Kandide oder die beste aller Welten
aufeinander losfeuerten. Der Wind führte sie alle beide dem französischen Schiffe so nahe, daß man das Treffen ganz gemächlich ansehn konnte. Endlich gab das eine Schiff dem andern so die volle Lage, daß es gleich untersank. Kandide und Martin erblickten auf dem Verdeck des untergehenden Schiffs hundert Menschen, die unter erbärmlichem Zetergeschrei die Hände gen Himmel emporhoben, und im Hui war alles verschlungen.
Nun sehn Sie, so handelt der Mensch gegen seinen Bruder! sagte Martin. Wirklich, dies Verfahren hat was Teuflisches! versetzte Kandide. Bei diesen Worten ward er etwas Glänzendrotes gewahr, das auf sein Schiff zugeschwommen kam. Man machte die Schaluppe los, um zu sehn, was es sei. Es war einer von Kandidens Hammeln. Ein Fund, der ihn mehr freute, als ihn der Verlust von hundert, wohlbepackt mit eldoradoschen Diamanten geschmerzt hatte.
Der französische Hauptmann hatte gar bald bemerkt, daß der Hauptmann des niederbohrenden Schiffs ein Spanier war und der Befehlshaber des niedergebohrten ein holländischer Seeräuber; eben der, der Kandiden bestohlen hatte. All die unermeßlichen Reichtümer, worin der spitzköpfige Bube seine Klauen geschlagen hatte, wurden mit ihm in der Tiefe des Meers begraben, und weiter nichts geborgen als ein Hammel.
Sehn Sie, sagte Kandide zu Martin, das Laster wird bisweilen bestraft; dieser Schurke von holländischem Schiffspatron hat seinen verdienten Lohn erhalten. Recht gut! weshalb mußten aber die Passagiere, die auf seinem Schiffe waren, mit untergehn? sagte Martin. Ich kann mir's nicht anders erklären, als daß Gott den Spitzbuben bestraft, und der Teufel die übrigen ersäuft hat.
Indes ging das französische und das spanische Schiff jedes seinen Gang, und Kandidens und Martins Unterredung den ihrigen. Vierzehn Tage hintereinander hatten sie sich herumdisputiert, und waren am vierzehnten Tage noch nicht weiter als am ersten. Es half wenigstens so viel, daß sie nicht stumm gewesen waren, sich ihre Gedanken mitgeteilt und einander getröstet hatten. Kandide liebherzte seinen Hammel. Da ich Dich wiedergefunden habe, sagt' er, werd' ich auch wohl noch mein Gundchen wiederfinden.
Einundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin nähern sich den französischen Küsten. Wovon sie sich unterhalten
Endlich näherten sie sich den französischen Küsten. Sind Sie jemals in Frankreich gewesen, Herr Martin, fragte Kandide.
Martin. Wohl bin ich's; ich habe manche seiner Provinzen durchstrichen, fand in der einen fast lauter Hasenfüße, in dieser und jener, und jener und dieser lauter erzabgefeimte Schlauköpfe, in jener und der, den größten Haufen lammfromm und schafdumm, in noch andern ein paar Schöngeister. Das Hauptsteckenpferd all' dieser Leute aber war Liebe, welches sie mit zwei andern abwechselten, Afterreden und Schnickschnack genannt. Kandide. Haben Sie Paris gesehn, lieber Martin?
Martin. Ich hab's. Da finden Sie all' den Schlag von Leuten in einen Topf geworfen; 's ist ein wahres Chaos. Ein gedrangvoller, lärmreicher Ort, worin alt und jung „dem Vergnügen nachjagt", und meines Bemerkens es niemand findet.
Lange hab' ich mich dort nicht aufgehalten; kaum war ich angekommen, so hatten die Spitzbuben auf dem St.-Germains-Markte mir all' mein bißchen Barschaft weggestohlen. Man hielt mich selbst für einen Spitzbuben; acht Tage lang mußt ich im Gefängnisse sitzen, hernach ward ich Korrektor, um mir nur so viel zu verdienen, daß ich per pedes Apostolorum wieder nach Holland konnte. Ich habe das schmierende, das kabalebrütende und das fanatische Gesindel kennengelernt. Es soll aber noch recht brave, artige Leute in der Stadt geben; ich will's glauben.
Kandide. Ich meines Teils finde gar keinen Trieb, Frankreich zu sehen; Sie können leicht erachten, wenn man einen Monat lang in Eldorado gewesen, daß man weiter nichts zu sehen wünscht als Baroneß Kunegunden. Ich will sie zu Venedig erwarten; wir wollen über Frankreich nach Italien gehn. Sie begleiten mich doch?
Martin. Versteht sich. Zwar sagt man, Venedig sei nur für die Nobili di Venezia, indes nimmt man auch Ausländer recht gut dort auf, wenn sie viel drauf gehn lassen; ich kann's nun nicht, aber Sie können's, und darum zieh' ich mit, wohin Sie wollen.
Kandide. Sagen Sie mir doch, Freund, glauben Sie, was der dicke Foliant da von unserm Schiffskapitän behauptet, daß die Erde im Anbeginn ein Meer gewesen ist?
Martin. Platterdings nicht! so wenig als all, die Alfanzereien, womit das
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