Kann denn Fado fade sein?
Saft und Wasser. Teller, Besteck, Gläser. Sardinen duften bereits verführerisch vom Grill, eine Riesenschüssel Salat und zwei große Töpfe mit dampfender Suppe stehen auf dem Tisch, in Körben frisch gebackenes Alentejo-Brot in dicken Scheiben. Rundherum sitzen etliche Portugiesen, die schnabulieren, was das Zeug hält.
»Setzt euch, setzt euch!«, heißt es. »Esst mit, die Sardinen sind schon so weit!«
Kaum ist der »Hauptgang« vorbei, werden hausgemachter Käse, Melonen und Birnen ausgepackt und selbst gebackene Kuchen angeboten, sogar Torten. Nach dem Essen gibt es erst einmal das eine oder andere Schwätzchen unter Männern, auch die Damen sind eifrig am Diskutieren. Dazu gibt es ein selbst gebranntes Schnäpschen – das muss sein. Der herrliche Rundblick vom Hügel aus macht den Nachmittag perfekt.
Und der Fado?
Man geht alles langsam an – schließlich sind wir im Alentejo. Gefaulenzt wird jedoch nicht lange! Keine Siestaheute!
Vor der malerischen Kulisse packt der erste Musikant seine guitarra portuguesa aus: Paulo Parreira spielt sich schon mal ein bisschen ein. Er stand – wie mir Doris verrät – schon auf vielen großen Bühnen und war während der Expo 98 in Lissabon der guitarrista principal , der wichtigste Gitarrist, auf der Fadobühne.
Der zweite kommt hinzu: Carlos Soares da Silva spielt die klassische Gitarre, fängt an, sein Instrument zu stimmen. Er begleitet viele bekannte fadistas , ist bekannt von Bühnen- und Fernsehauftritten.
Der dritte Musiker ist ein alter Herr, ebenfalls mit der guitarra portuguesa – mestre António, der Vater von Paulo, ebenfalls ein bekannter Virtuose auf seinem Instrument, der als Gitarrenlehrer auch im berühmten Fadomuseum in Lissabon gearbeitet hat. Keine Laien, alles Profis, die sich heute mit uns einen musikalischen Nachmittag gönnen werden. Aus Liebe zur Musik, aus Liebe zum Fado.
Es ist eine wunderschöne Stimmung. Es gibt keine Bühne. Jeder, der singen kann und will, tritt nach vorne zu den Musikern. Spricht sich kurz ab – und legt los.
Manch einer lässt sich ein wenig bitten. Umso größer ist der Applaus, wenn er seine Darbietung abgeschlossen hat. Einige kenne ich, habe sie schon bei anderen Auftritten im Alentejo erlebt: Francisco »Xico« Malafaia etwa oder Fernando Espada.
Nach der Pause ziehen die Musiker um. Es ist zu heiß und sonnig innerhalb des alten Gemäuers, und vor allem tummeln sich zu viele Wespen in der Nähe des Sardinengrills. Aber unter den Korkeichen, im Schatten der Bäume, lässt es sich ebenfalls bestens musizieren und singen. Nicht nur »Alte« treten auf – auch ganz junge Burschen singen Fado. Junge Mädchen ebenso. Alle mit echter Hingabe.
Gemeinsam mit allen anderen lausche ich. Genieße und fühle Fado. Ganz anders als im Konzertsaal. Aber genauso emotional.
Kapitel 11
Klüngel in der Quinta
Auf Neudeutsch sagt man Networking dazu. In Köln nennt man es liebevoll Klüngel; etwas pikiert spricht man anderswo von Vetternwirtschaft oder »Vitamin B«, unfreundlich sogar von Seilschaften oder böswillig von einer »Besetzungscouch«. Gemeint ist aber immer dasselbe: Man kennt jemanden, der jemanden kennt, der weiß, wo man etwas günstiger bekommt. Oder der einen Bekannten hat, der einem einen Gefallen schuldig ist. Wobei »Gefallen« nicht mal eine größere oder etwa gar kriminelle Angelegenheit bedeuten muss. Wir sind hier ja nicht beim Paten und der Mafia.
Beziehungen sind das A und O in Portugal. Jeder Portugiese weiß das von klein auf und fängt deshalb schon als Kleinkind an, sich seine cunhas aufzubauen. In der Familie sowieso, und weil man hier sehr oft, gerade auf dem Land, noch in Großfamilien lebt – drei Generationen unter einem Dach sind keine Seltenheit –, wird da schon mal eine vernünftige Basis gelegt. In der Nachbarschaft und im Dorf kommen dann noch Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen, Schwägerin und Schwager und selbstverständlich deren Familien hinzu. Flugs ist man so mit dem ganzen Dorf mehr oder weniger verbandelt, cunhas eben.
Optimal wird es, wenn der eine oder andere vom Dorf in die Stadt zieht, vielleicht in einer Behörde oder gar bei der Polizei arbeitet. Oder in einer Firma, die günstigerweise genau das Autoersatzteil herstellt, dass man selbst gerade braucht. Klar, dass man diese cunhas aus- und benutzt.
Kleine Notiz am Rande:
Das portugiesische Wort cunhas bedeutet »Keile«. Auf gar keinen Fall sollte man jedoch den Fehler begehen, einen Zusammenhang
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