Kann denn Fado fade sein?
Schande muss ich gestehen: Wir hören nur ein paar Minuten scheinbar andächtig zu, dann überkommt uns ein unwiderstehlicher Zwang zu kichern. Wir kriegen uns nicht mehr ein, die ersten Gäste an den Nebentischen zischen bereits und blicken strafend zu uns hinüber. Wenigstens zeigen wir gerade noch so viel gutes Benehmen, dass wir diesen Unwillen bemerken und beinahe fluchtartig das Lokal verlassen, weil der nächste Lachanfall droht. Genau da kaufe ich vor dem Hinausgehen noch schnell die CD, die António viele Jahre später bei mir findet.
Ich habe sie, glaube ich, höchstens einmal angehört. Eher ein halbes Mal. Ich fand: Fado ist fade. Mit dieser Musik konnte ich absolut nichts anfangen.
António ist jedenfalls sehr angetan vom Beweis meines Musikgeschmacks. Meint er doch, ich hätte die CD gekauft, weil ich Fado gut finde. Ich kläre ihn lieber nicht auf. Meine Notlüge dient einem harmonischen Abend, und weil ich guten Willens bin, höre ich mir die Musik und vor allem den Gesang von Amália mit ihm gemeinsam an.
»Ich habe Amália selbst erlebt«, erzählt er bewegt. »Sie ist damals auf der Expo 1998 aufgetreten. Es war ihr letzter Auftritt. Ein Jahr später ist sie gestorben. Es gab drei Tage Staatstrauer, Hunderttausende haben ihr die letzte Ehre erwiesen. Sie ist die einzige Frau, die im panteão nacional in Lissabon beigesetzt wurde.«
Ich entschließe mich, ehrlich zu sein.
»Ich kann mit dieser Musik nicht viel anfangen«, gebe ich zu. »Fado und Portugal gehören zusammen, das ist mir schon klar. Aber wenn man die Texte nicht versteht …«
»Weißt du«, sagt António, »hier in Deutschland bedeuten diese Melodien für mich einfach Heimat. Bei uns kennen alle Fado, selbst junge Leute singen die Lieder. Du wirst sehen, querida , eines Tages fühlst du den Fado!«
Es trifft sich gut, dass António ein paar Wochen später Geburtstag hat, und ich ihn mit einem Geschenk aus seiner Heimat überraschen kann: In der Alten Oper in Frankfurt findet nämlich ein Fado-Abend statt. Ehrensache, dass ich heimlich Eintrittskarten besorge und wir hinfahren.
Es ist ein Auftritt von Mariza und Carlos do Carmo – beide Namen sagen mir nichts. Noch nicht.
»Mariza«, klärt António mich auf, »ist eine ganz junge fadista – s ie gilt als Nachfolgerin Amálias. Und sie hat von der BBC den Preis als beste Künstlerin der Weltmusik bekommen. Aber so richtig gehört habe ich sie auch noch nicht.«
»Und Carlos do Carmo?«
»Das ist einer der fadistas , die sich nicht mit dem Regime Salazars arrangiert haben«, erklärt António. »Er wurde deshalb verhaftet – und ist auch wegen seines Widerstands gegen die Diktatur beim Volk sehr beliebt. Er muss um die siebzig sein – und immer noch ein großer Star, auch international!«
Ich staune über das Publikum in der Alten Oper.
So viele Deutsche sind hier versammelt. Kennen und mögen die alle Fado? Dann merke ich, dass Portugiesen im Publikum in der Überzahl sind. Überall portugiesische Satzfetzen, selbst an der Kleidung merkt man: Das ist ein festlicher Abend für die emigrantes , für die portugiesische Gemeinde in Deutschland. António ist glücklich, Portugiesisch sprechen zu können, sich mit Landsleuten zu unterhalten. Kurz vor dem Konzert bekommen wir mit, dass selbst der Botschafter Portugals, João Diogo Nunes Barata, für diesen Abend aus Berlin angereist ist. Er sitzt in der ersten Reihe.
Eine junge Frau kommt auf die Bühne: hochgewachsen, extrem kurzes blondes Haar; ein prachtvolles Abendkleid, ein filigranes schwarzes Fransentuch. Begleitet wird sie von drei Musikern. Der eine spielt die guitarra portuguesa , der andere die klassische Gitarre, der dritte Bassgitarre. Sie spielen die erste Melodie an. Es wird totenstill im Saal. Man könnte die berühmte Stecknadel fallen hören.
Mariza beginnt zu singen.
Ich habe nicht geahnt, dass Fado so beeindruckend sein kann. António hat recht: Ich muss die Worte nicht verstehen. Diese Musik geht mir direkt ins Herz. Ich fühle sie.
Ich weiß nicht, was passiert ist. Ob es an der Umgebung liegt, an den Menschen, an den vielen Portugiesen, die hingerissen lauschen. Oder an António, der mit Tränen in den Augen – und zwar nicht als Einziger – neben mir sitzt. Ich weiß nur: Fado ist nicht fade. Fado ist – Portugal. Die Seele der Portugiesen. Jetzt verstehe ich.
Kleine Notiz am Rande:
Zwei Jahre später leben António und ich bereits in Portugal.
Mitte August gibt es im Anfiteatro Keil de
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