Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Gerade, als ich den Startknopf drücken will, fällt mir auf, dass die Redakteurin versehentlich ihren Computer angelassen hat.
Plötzlich verspüre ich eine große Versuchung, wahrscheinlich die gleiche, die ein Spielsüchtiger angesichts eines einarmigen Banditen fühlt. Irgendetwas zieht mich mit enormer Kraft an den Schreibtisch mit dem leuchtenden Monitor, und es fällt mir zunehmend schwerer, diesem Drang zu widerstehen.
»Tu es!«, höre ich eine innere Stimme flüstern. »Du willst es, also tu es einfach! Es ist doch keiner hier, der dich erwischen könnte …«
»Tu es nicht!«, widerspricht eine andere Stimme. »Du wirst es bereuen! Du bist nur die Putzfrau, dich geht das hier alles überhaupt nichts an!«
»Doch, tu es! Siehst du nicht, wie bequem der Stuhl ist?«, zischelt es von der anderen Seite zurück. »Ganz weich und gemütlich … Und diese Tastatur, auf ihr muss sich das Tippen einfach himmlisch anfühlen!«
Ich bin mir ganz sicher, dass der diabolische Besitzer dieses Zischelns keine Ahnung von allem hat, was himmlisch ist, aber seine Überredungskünste zeigen Wirkung, keine Frage. Ich nähere mich mit zaghaften Schritten dem Schreibtisch, meine Hand fährt beinahe zärtlich über die kühle, glatte Oberfläche. Dann halte ich inne.
»Komm, weiter! Trau dich ruhig!« Wieder ist da dieses teuflische Flüstern, dem ich keinen Widerstand leisten kann. Die Anziehung wird wieder stärker und ich fühle mich wie eine Büroklammer in unmittelbarer Nähe eines riesigen Magneten. Erneut trete ich ein kleines Stückchen näher, sehe mich zur Sicherheit noch mal schnell um – und dann lasse ich mich in das weiche Polster des Bürostuhls fallen.
Einen kurzen Moment schließe ich meine Augen und atme den Geruch von Papier, Druckerschwärze und Erfolg tief ein, der hier überall in den Räumen hängt. Dann fahre ich vorsichtig mit meinen zitternden Händen über die Tastatur; sie fühlt sich unter meinen Fingerkuppen samtweich an. Ich seufze glücklich und widme als Nächstes meine Aufmerksamkeit dem Bildschirm vor mir. Eine fast leere Seite strahlt mich an, auf der lediglich drei Worte stehen: »Papergirl findet, dass …« Oje, die arme Frau scheint wirklich einen völligen Blackout gehabt zu haben. Wie hatte sie es formuliert? Etwas Frauentypisches … Hm …
Einen Moment lang starre ich auf den Cursor vor mir, dann hole ich tief Luft und lasse meine Fingerknöchel knacken. Und wenige Sekunden später huschen meine Hände über die butterweiche Tastatur.
Als ich das erste Mal meinen Blick vom Monitor hebe und er auf die puristisch gestaltete Uhr an der Wand gegenüber fällt, kriege ich einen riesigen Schreck. Eine Dreiviertelstunde sitze ich nun schon an diesem Schreibtisch! Dabei müsste dieses Büro eigentlich längst sauber sein – zeitlich hänge ich sowieso hinterher!
Und warum mache ich das hier eigentlich? Bin ich die Putzfrau oder die Redakteurin? Irgendwie fühle ich mich wie ein Einbrecher, der beim Herumwühlen in der Wäschekommode erwischt worden ist. Und tatsächlich höre ich in diesem Moment draußen im Flur eine Tür schließen – sofort erfasst mich Panik. Mit zittriger Hand greife ich nach der Maus, schließe blitzschnell das Dokument und schalte den Monitor aus. Zum Glück hatte ich die Datei nirgendwo gespeichert!
Dann springe ich vom Schreibtisch auf, stolpere dabei über das Rohr des Staubsaugers und schalte ihn hastig an. Ein lautes Röhren und Summen erfüllt den Raum, und mit hochrotem Kopf jage ich durch das Zimmer, um mich möglichst schnell den anderen Büros widmen zu können.
Als ich später mit meiner Arbeit fertig bin, verlasse ich das Gebäude wie eine Verfolgte – nämlich schnellen Schrittes und mit einem furchtbar schlechten Gewissen.
Stunning Looks-Ausgabe: 23
Cover: Gisele Bündchen
Kolumne: ›Papergirl findet, dass …‹
Heute: ›… Cellulite völlig überbewertet wird.‹
Liebe Stunning-Looks-Leserin,
es gibt in der modernen Welt kaum noch Dinge, vor denen wir uns ängstigen müssen. Die Zeiten, in denen wir uns als Burgfräulein vor dem Drachen oder als Rothaarige mit medizinischem Hintergrundwissen vor dem Scheiterhaufen fürchten mussten, sind Gott sei Dank vorbei. Trotzdem hat es ein Schreckgespenst bis ins 21. Jahrhundert hinein geschafft – und ist sogar erst in dieser Zeit so richtig mächtig geworden. Die Rede ist von: Cellulite.
Cellulite, oft auch als Orangenhaut bezeichnet, tritt hauptsächlich an den
Weitere Kostenlose Bücher