Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
viele Gedanken über sie und versuche, ihren liebenswerten Eigenschaften auf den Grund zu gehen, um sie besser zu verstehen. Ich analysiere eigentlich eher.« Plötzlich kommt mir eine Idee. »Angenommen, wir beide würden miteinander in der Kiste landen und die einzige Erkenntnis, die ich dabei gewinnen würde, wäre, dass meine Zimmerdecke dringend neu gestrichen werden muss, dann wäre ich geradezu gezwungen, diese Nacht zu analysieren. Natürlich nur, um dich und die Gründe für diesen Albtraum besser verstehen zu können. Weißt du, was ich meine?«, frage ich mit unschuldigem Augenaufschlag.
Mein Gast wird sichtlich nervös und muss sich räuspern. Dann zupft er an seinem Hemdkragen herum. »Du würdest dann alle Einzelheiten in diesem Frauenmagazin veröffentlichen?«, fragt er.
»Aber doch nur, damit es all die anderen Frauen und Männer dieser Welt besser machen können. Findest du das nicht toll, wenn man so vielen Menschen durch eigene Fehler helfen kann und sie ihre dadurch vermeiden können?« Chris sieht mich entgeistert an, und ich muss mich zusammenreißen, um nicht loszulachen.
»Ich glaube, es ist wirklich schon sehr spät.« Er steht hastig auf. »Du solltest ausgeruht sein, wenn du morgen zum Zahnarzt musst.«
Ich folge ihm in den Flur, wo er seine Jacke von der Garderobe nimmt. »Aber es ist doch gerade so gemütlich geworden!« Ich versuche, möglichst enttäuscht zu klingen.
»Danke für das Essen. Gute Nacht.« Mit diesen Worten stolpert Chris zur Tür hinaus und die Treppen hinunter.
»Da geht sie hin, meine nächste Kolumne. Es wäre bestimmt schön geworden mit uns beiden«, murmele ich grinsend vor mich hin, während ich im Türrahmen lehne und ihm nachsehe. Und dann gehe ich zurück in meine Küche und löffle das superleckere Tiramisu aus, das mir jetzt wenigstens ganz alleine gehört.
Geld allein macht nicht glücklich, es gehört auch ein bisschen Liebe dazu
Ich kriege viel zu selten Post. Und damit meine ich nicht die in elektronischer Form (denn von der wird selbst der sozial inaktivste Mensch der Welt regelmäßig bombardiert), sondern die gute alte Post in Form von Briefen und Postkarten. Und zwar nicht die dritte Mahnung der Stadtwerke oder die aktuelle Telefonrechnung, sondern die Art von Briefen, die nicht elektronisch frankiert wurden, sondern bei denen die Briefmarke noch liebevoll angeleckt und per Hand aufgeklebt worden ist. Solche Briefe, bei denen allein der Anblick der handgeschriebenen Adresse schon Herzklopfen verursacht, weil etwas Persönliches, etwas Überraschendes, etwas Gefühlvolles im Kuvert auf einen warten könnte.
Handgeschriebene Briefe sind manchmal wie kleine Sterne an einem tiefschwarzen Nachthimmel. Denn wenn man voller Vorfreude den Umschlag öffnet und den Brief herauszieht, das Papier knisternd auseinanderfaltet und entweder auf sehr wenige Zeilen oder seitenweise geschriebene Wörter hinabsieht, weiß man, dass jemand an einen gedacht hat. In dem Moment, in dem der Absender sich an das Verfassen des Briefes gemacht hat, egal ob mit viel Muße im Sitzen am Schreibtisch oder schnell im Stehen an der Küchenzeile, mit teurem Füller oder einem schlecht gespitzten Buntstift eines der Kinder, hat er sich die Mühe gemacht und in seiner krakeligen Handschrift, in fein geschwungenen Lettern oder in kleinen, verschlungenen Hieroglyphen seine Gedanken niedergeschrieben. Er hat den Brief persönlich in den Briefkasten geworfen, damit er den Empfänger sicher erreicht. Oder vielleicht ist er sogar extra zum Postamt gefahren, hat sich in eine vollgestopfte Straßenbahn gequetscht, ist durch Regenpfützen gewatet oder hat lange in einer der Schlangen an den Schaltern warten müssen. Er hat einen kurzen oder sogar langen Moment seiner kostbaren Zeit dafür reserviert, sich nicht per SMS, per E-Mail oder per Telefon mitzuteilen, sondern in der ehrlichsten und schönsten Form, die es gibt: handschriftlich per Brief.
Ich liebe Briefe. Hatte ich das schon erwähnt? Heute jedenfalls habe ich gleich zwei Stück davon in meinem Briefkasten. Eingeklemmt zwischen einer aktuellen Ausgabe der ADAC-Mitgliedszeitschrift, einem Flyer des Pizzadienstes um die Ecke und einem Sonderkatalog von Sport Scheck. Der eine länglich, edel aussehendes Papier, große, schwungvolle Buchstaben aus schwarzer Tinte. Auf seinem Weg zu mir muss es geregnet haben, denn das V von Victoria ist leicht verlaufen, und ein Wassertropfen hat das Papier an dieser Stelle grau gefärbt. Der
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