Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
ist, viel größer und stärker als das erste, aber so mächtig, dass man Angst hat, nicht damit umgehen zu können und das andere Gefühl damit zu erdrücken und es somit zerstören könnte? Und wohin soll ich mit diesem großen Gefühl, wenn ich es nicht mit dir teilen kann? Ich weiß allerdings nicht, wie ich es wieder loswerden soll.
Vicky, ich weiß, dass du mich so gut kennst wie kaum ein anderer und dass du auch ohne große Worte von meiner Seite genau weißt, wie verwirrt ich bin und dass sich etwas für mich verändert hat. Ich weiß nicht, wie du es siehst, aber ich habe gemerkt, dass ich dich als meine beste Freundin unglaublich vermisse, und ich möchte dich nicht wegen meiner eigenen Gefühlsduseleien verlieren.
Vielleicht können wir einfach daran arbeiten, dass es zwischen uns wieder so wird wie früher, und vielleicht können wir bald schon über den Kuss und dieses komische Gefühl zwischen uns beiden lächeln, ohne Wehmut oder Reue – einfach nur der schönen gemeinsamen Erinnerung wegen.
Du fehlst mir! Einfach nur als beste Freundin, die beim Lachen die Nase kräuselt, die immer all ihre Zimmerpflanzen ertränkt, die lieber rückwärts statt seitwärts einparkt, die nicht ein Stück Schokolade essen kann, ohne danach irgendwo einen Fleck zu haben, und die kleine Locken kriegt, wenn sie durch den Regen läuft.
Melde dich bitte bei mir. Ich hab dich lieb!
Dein Jan.
Ach Mann, Jan. Was soll ich denn nur mit dir machen?
Ich beschließe, mich um diese Frage später zu kümmern, und versuche, mich von Jan und seinem Brief abzulenken, indem ich mich in der Stadt auf die Suche nach passenden Klamotten für die Weihnachtsfeier der Stunning Looks mache. Dabei entdecke ich schon mal ein entscheidendes Problem: Wo kriege ich passende Designerklamotten her? Und das nächste Problem: Wer bezahlt sie mir? Eines steht auf jeden Fall fest: Ich kann nicht in einem Kleid von H&M oder Zara auftauchen, so wie ich es sonst tun würde. Also werde ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und meine Kreditkarte zücken müssen, die sonst wirklich nur in Notfällen zum Einsatz kommt (wie einem unerwarteten Sale in meinem Lieblingsschuhgeschäft zum Beispiel), ohne dabei an die nächste Abrechnung zu denken.
Ich fahre mit der U-Bahn bis zum Odeonsplatz und bummle dann zu den Fünf Höfen. Wenn jemand in kurzer Zeit in der Münchner Innenstadt viel Geld loswerden möchte, dann ist er hier genau richtig. Hier kann die besser verdienende Kundin (oder die mit dem großzügigen Kreditrahmen oder dem spendablen Gönner) frei zwischen Emporio Armani, Dolce & Gabbana und Konsorten wählen. Die perfekte Möglichkeit für mich also, nach einem teuren Outfit für die Weihnachtsfeier zu suchen, das gleich mehrere Aufgaben zu erfüllen hat: Es soll mir stehen, es soll zeigen, dass es einen Haufen Geld gekostet hat, es soll bequem sein (denn ich werde bestimmt nicht vor einem riesigen Büfett verhungern), und es muss modisch, kreativ und elegant zugleich sein. Ich habe mir also eine schier unlösbare Aufgabe gestellt. Aber bevor es losgeht, werde ich mir erst mal einen schnellen Kaffee bei Aran gönnen, und dann gehe ich auf die Jagd.
Genau drei Stunden später stehe ich wieder auf der Straße und bin mir ziemlich sicher: So viel Geld, wie ich gerade in den Läden hier gelassen habe, sollte für ein kommendes Wirtschaftswunder sorgen. Wenn meine Shoppingtour nicht gerade den Aufschwung par excellence bewirkt hat, dann weiß ich es aber auch nicht. Dafür bin ich jetzt im Besitz eines schwarzen, schulterfreien Etuikleides von Armani, einer passenden Clutch, Pumps, einer sehr edel aussehenden Strumpfhose und eines neuen Eyeliners, der mich hoffentlich in Verbindung mit dem Outfit wie Audrey Hepburn aussehen lassen wird. Gekostet hat mich das ganze Vergnügen eine Summe, von der vermutlich eine Familie in Berlin-Kreuzberg ein Jahr locker leben könnte. Aber was tut man nicht alles für die liebe Karriere (und gegen das Getuschel biestiger Kolleginnen). Jetzt brauche ich also nur noch eine passende Begleitung. Und um die kümmere ich mich gleich zu Hause, nachdem ich Caruso eine Runde um den Block gejagt habe.
»Wie meinst du das, du kannst nicht?«, frage ich. »Wie kannst du so was ausschlagen? Die Weihnachtsfeier der Stunning Looks, dem Magazin in Deutschland schlechthin – und du willst nicht dabei sein? Nirgendwo sonst kannst du den Kampf geschlechtsreifer Großstadtzicken in ihrem natürlichen
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