Kanonendonner über der Adria
Selbst seine Landsleute nannten ihn ›Marceau, den jakobinischen Drachen‹. Er verließ sich höchstens auf seine französischen Landsleute an Bord. Für die Italiener hatte er nur subtile Verachtung. Aber Italiener stellten zwei Drittel der Besatzung des Linienschiffes, das formal die Flagge der neapolitanischen Krone führte, aber faktisch die Befehle der Franzosen ausführen musste.
Die Besatzung strömte an Deck. Die Italiener schwatzten meist, aber vorwiegend unter sich. Nur in wenigen Gruppen unterhielten sie sich und radebrechten die Sprache des anderen. Sie gingen zu den Kanonen.
»Mon dieu!«, schimpfte der Kapitän. »Machen Sie dem Pack Beine, Monsieur Palucci. Wir sind doch nicht auf dem Marktplatz.« In seinem harten Italienisch hörte sich der Verweis noch unfreundlicher an.
Leutnant Palucci rief Befehle durch die Sprechtrompete. Die Batterieoffiziere stießen einen Wortschwall nach dem anderen aus. Die Maate packten Männer bei den Schultern und stellten sie in die richtige Position. Endlich konnte der Batterieoffizier melden.
»Üben Sie drei Runden ohne Pulver und Kugeln, Monsieur Palucci. Danach sollen alle Kanonen mit halber Ladung ohne Kugel feuern.«
Der Leutnant salutierte und gab Befehle. Die Mannschaften mimten einen Abschuss, rollten die Kanonen zurück, wischten sie aus, imitierten das neue Laden und meldeten Feuerbereitschaft. Die Maate rannten schreiend umher und korrigierten Fehler.
»Dämlicher Hund! Dich zerreißt die Kanone, wenn sie zurückrollt!«, brüllte ein französischer Maat einen Kanonier an.
»Was soll ich reißen?«, fragte der zurück.
Der Maat warf seine Kappe auf den Boden und trampelte darauf herum. Kameraden des Kanoniers erklärten ihm, worum es ging, und nun dienerte er vor dem Maat. Der wandte die Augen zum Himmel, fluchte furchtbar und ging zur nächsten Kanone.
Die Salve mit der halben Pulverladung löste bei dem Kapitän einen Wutanfall aus. »Parbleu, ein Gesangverein aus Stotterern ist ein Opernchor dagegen. Noch einmal! Die Kerle sollen auf Kommando feuern und nicht, wenn ihnen gerade die Nase juckt.«
Leutnant Palucci rief die Befehle und wies die Batterieoffiziere an, auf synchrones Abfeuern zu achten. Wieder feuerten sie eine Breitseite, diesmal deutlich besser.
Kapitän Marceau horchte steuerbord voraus. Da war doch Kanonendonner. »Ausguck, was hörst du steuerbord voraus?«
»Das Echo unserer Salve, Kapitän.«
Der Kapitän schien vor Wut platzen zu wollen. »Du Idiot!«, brüllte er. »Wo ist denn da vorn eine Wand, die ein Echo zurückwerfen würde. Da ist doch nur das gottverdammte Brett, das du vor dem Kopf hast. Leutnant Palucci, ein Kadett soll mit der Sprechtrompete horchen, und lösen Sie diesen Ochsen ab, der auf See Echos hört.«
Der Kadett meldete nach kurzer Zeit Kanonendonner. »Mindestens zwei fremde Schiffe im Kampf.«
»Die besten Leute in den Ausguck!«, befahl der Kapitän.
Nach einer halben Stunde waren sie sicher, dass eine Fregatte und eine Korvette miteinander kämpften. Nach weiteren fünfzehn Minuten erkannten sie, dass die Fregatte britisch war, während die Korvette die Fahne ihrer Krone führte.
»Landsleute in Gefahr, Monsieur Kapitän. Unsere Fregatte muss sofort eingreifen«, drängte Leutnant Palucci.
»Haben Sie schon gegen ein britisches Schiff gekämpft, Leutnant?«, fragte der Kapitän.
»Nein, Monsieur.«
»Das dachte ich mir. Ich kann die reaktionären Pfeffersäcke wirklich nicht leiden, aber Seemannschaft trinken die schon an der Mutterbrust. So wie die segeln und schießen, schaffen wir es mit unseren Leuten erst nach drei Jahren harten Drills.«
»Aber wir sind doch erst zwei Monate auf dem Schiff und erst zwei Wochen zur See, Kapitän.«
»Sie begreifen aber schnell. Darum wünschte ich mir auch, ich hätte noch drei Linienschiffe. Dann würden die Briten vielleicht dem Kampf ausweichen. Wenn ich denen nur die Fregatte entgegenschicke, dann stampfen sie die unter Wasser. Beide Schiffe klar zum Gefecht. Alle Segel gesetzt. Vielleicht schaffen wir es. Feuern Sie die Mannschaften an. Es geht um Leben und Tod!«
Die Milford lag in einer Bucht, etwa dreihundert Meter vor dem Strand. Zur Tarnung hatten sie das Achterdeck mit einem Netz und den Bug mit einem alten Segel verhüllt, das über dem schräg nach vorn führenden Ankerkabel hing. Das alte Segel war vorher noch mit farbigen Kurven und Kreisen bemalt worden. So wurden die scharfen Konturen vorn und achtern verdeckt. An den Masten
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