Kapitaen Bykow
drehte sie in den Händen hin und her und stellte sie wieder im Gras ab.
Dauge sah ihn nicht an, und Jurkowski ergriff die Mappe erneut. »Na ja, dann lass mal den Kopf nicht hängen, Grigori«, sagte Jurkowski schließlich mit betrübter Stimme.
»Ich werd mir Mühe geben«, erwiderte Dauge nüchtern.
Ein Stück von ihnen entfernt redete Bykow dem Sohn halblaut ins Gewissen: »Kümmer dich ein bisschen um Mama, solange ich unterwegs bin, hörst du. Und lass die Finger von deinen Unterwasserhobbys.«
»Alles klar, Papa.«
»Keinerlei Rekorde und so, verstanden?«
»Aber ja, Papa, mach dir keine Sorgen.«
»Denk weniger an die Mädchen und mehr an Mama.«
»Geht in Ordnung, Papa.«
Dauge sagte leise: »Ich geh dann.« Er machte kehrt und trottete zum Flughafengebäude. Jurkowski schaute ihm nach. Dauge wirkte klein, krumm und sehr alt.
»Auf Wiedersehen, Onkel Wolodja«, sagte Grischa.
»Auf Wiedersehen, Kleiner«, antwortete Jurkowski. Er sah noch immer Dauge nach. »Besuch ihn hin und wieder, ja? Einfach so. Trinkst eine Tasse Tee mit ihm, weiter nichts. Er hängt an dir, ich weiß es.«
Grischa nickte. Jurkowski hielt ihm die Wange hin, klopfte ihm auf die Schulter und folgte Bykow zum Autobus. Er erklomm schwerfällig die Stufen, setzte sich auf den Platz neben Bykow und sagte: »Wär nicht schlecht, wenn der Flug jetzt abgesagt würde.«
Bykow sah ihn verblüfft an. »Was für ein Flug? Unserer?«
»Ja, unserer. Es wäre leichter für Dauge. Noch besser wäre es, die Ärzte hätten uns alle drei untauglich geschrieben.«
Bykow schnaufte, schwieg jedoch. Als sich der Autobus in Bewegung setzte, sagte Jurkowski: »Er wollte mich nicht mal umarmen. Recht hat er. Wir hätten nicht ohne ihn fliegen sollen. Das ist nicht fair. Nicht ehrlich.«
»Hör auf«, sagte Bykow.
Dauge war die Granitstufen zum Flughafengebäude hinaufgestiegen und drehte sich um. Das rote Fleckchen Autobus kroch bereits irgendwo weit am Horizont entlang. Dort waren im rosafarbenen Dunst die konischen Silhouetten der senkrecht startenden Liner zu erkennen.
Grischa fragte: »Wohin soll ich Sie bringen, Onkel Grischa? Ins Institut?«
»Von mir aus auch ins Institut«, erwiderte Dauge.
Eigentlich möchte ich nirgends hin, dachte er. Absolut nirgends. Wie schwer es doch ist ... Hätte nicht geglaubt, dass es mir so an die Nieren geht. Dabei ist nichts Neues oder Unverhofftes passiert. Alles ist seit Langem bekannt, durchdacht und rechtzeitig in aller Stille durchlitten – wer will schon nach außen hin schwach erscheinen? Was soll’s überhaupt, sagte er sich, es ist alles durchaus gerecht und ehrlich zugegangen. Ich bin zweiundfünfzig, habe vier Strahlenschläge hinter mir. Mein Herz ist nicht mehr das Beste, die Nerven taugen nicht mehr viel, und nicht mal das Blut in meinen Adern ist mein eigenes. Deshalb schreiben sie einen ja untauglich, ziehen einen zu nichts mehr heran. Den Wolodka Jurkowski nehmen sie noch, zu mir dagegen sagen sie: »Du, Grigori Johannowitsch, hast lange genug gegessen, was dir vorgesetzt wurde, hast lange genug an Plätzen geschlafen, die dir verordnet wurden. Jetzt wird’s Zeit für dich, die Jungen zu unterrichten.« Aber was soll ich ihnen denn beibringen? – Dauge schielte zu Grischa, der kraftstrotzend und verwegen dastand. – Soll ich ihm vielleicht Kühnheit beibringen? Oder Gesundheit geben? Mehr als das ist doch im Grunde gar nicht nötig. So bleibt man letztlich allein zurück. Zusammen mit hundert wissenschaftlichen Artikeln und ein paar Büchern, die bald veraltet sein werden. Mit seinem Ruhm, der noch schneller altert.
Dauge drehte sich um und betrat das kühle, von Lärm erfüllte Vestibül. Neben ihm ging Grischa Bykow, mit aufgeknöpftem Hemd. Im Vestibül herrschte halblautes Stimmengewirr, man hörte das Rascheln von Zeitungen. Auf einem großen Konkavschirm, der die halbe Wand einnahm, wurde ein Film gezeigt; ein paar Leute, in ihren Sesseln versinkend, starrten auf den Schirm und hielten die glänzenden Fonokästchen ans Ohr. Ein dicker Ausländer orientalischen Typs drückte sich am Automatenbüffet herum. Er schob methodisch Chip auf Chip in den Automaten und blickte nachdenklich auf die Anzeige »Ausgeschaltet«. Zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen, vier, fünf Jahre alt – standen hinter ihm und verfolgten neugierig sein Hantieren.
»Ich geh hin und erklär’s ihm«, sagte Grischa.
Dauge nickte zerstreut.
Am Eingang zur Bar blieb Dauge plötzlich stehen. »Na
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