Kapital: Roman (German Edition)
eben üblich. Roger hatte die modernen Management-Methoden nicht erfunden, aber er kannte sie gut genug, um sich ihnen nicht entgegenzustellen. Und er kannte Pinker Lloyd gut genug, um zu wissen, in welchen Bereichen es sich auszahlte, mit den Traditionen zu brechen und lautstark zu rebellieren, und wo man das besser unterließ. Und angesichts dessen, was im Management gerade in Mode war, lohnte es sich in diesem Fall nicht, einen Kampf vom Zaun zu brechen.
Der Teil von Roger, der sich von der Firmenphilosphie leiten ließ, der Teil, der es sogar genoss, deren Überzeugungen in genau der Weise umzusetzen, wie es ihm aufgetragen wurde – dieser Teil war stolz auf seine teamgeistfördernden Übungen. Weil seine Leute Händler von Beruf waren, und weil Händlern nachgesagt wird, dass sie einen ausgeprägten Hang zum Konkurrenzdenken, zu Raffgier und Aggressivität haben – ein Händler, der das alles nicht hatte, würde in seinem Job nicht viel ausrichten können –, unternahm er etwas mit ihnen, das diesen Eigenschaften entsprach. Nichts, wo man kooperieren musste oder wo man das moralische Gewissen schärfte und schon gar keine buddhistischen Meditationsrefugien. Roger suchte sich üblicherweise irgendeine Wettbewerbssituation aus und benutzte das gesamte Budget, das ihm für die Übung zur Verfügung stand, als Preis für den Gewinner. Er hatte das bisher mit großem Erfolg beim Kartbahnrennen angewandt und auch beim Tontaubenschießen. Heute würden sie Poker spielen. Es war Freitag Abend. Das Budget von 5000 £ war in der Spielkasse, sie hatten ein Zimmer in einem Poker-Club in Clerkenwell gebucht, und der Abend würde erst dann enden, wenn ein Gewinner festand. Im Augenblick befand sich seine Crew an der Bar und brachte sich für das Hauptereignis des Abends in Schwung. Die Stimmung in der Finanzbranche war etwas angespannt, seit vor ein paar Wochen die Investmentbank Bear Stearns zusammengebrochen war, und obwohl Rogers Abteilungbei Pinker Lloyd davon nicht direkt betroffen war, war es trotzdem ein guter Zeitpunkt, um seine Leute um sich zu scharen und ihnen die Gelegenheit zu geben, ein wenig Dampf abzulassen und sich mal so richtig die Kante zu geben.
Roger hatte hier und da schon mal Poker gespielt, hauptsächlich mit Kunden, die darauf bestanden hatten, ihn in irgendein Kasino mitzuschleppen. Er hatte einmal dabei zugesehen, wie Eric der Barbar mit einem einzigen Blatt, Full House, Asse auf Buben, in einem »Hold ’em«-Spiel 100000 £ gewonnen hatte. Also wusste er ein wenig Bescheid, jedenfalls genug, um zu wissen, dass jeder ernsthafte Pokerspieler heute Abend keinen Alkohol trinken würde. Er beobachtete ganz genau, wer sich schon das ein oder andere Gläschen gegönnt hatte und wer nicht. Die meisten seiner Jungs, und auch alle drei Mädels hatten bereits dem Sekt zugesprochen, was ein gutes Zeichen war. Ein paar Leute hatten farblose Drinks mit Kohlensäure bestellt, die entweder Wodka Tonics waren oder aber auch nur Mineralwasser. Na so was aber auch: Sein Stellvertreter Mark war einer von ihnen. Ein oder zwei von den besseren Händlern waren schon halb besoffen. Jez, der beste von ihnen, war bereits blau wie ein Veilchen. Das war nicht besonders erstaunlich, denn er trank einen Turbojäger nach dem anderen. Gut, gut, das lief also schon mal alles wie geplant.
Gegen acht gingen sie in das abgetrennte Zimmer, das Roger reserviert hatte. Es war dunkel, mit einer niedrigen Decke und einem schwer definierbaren Geruch nach altem oder schlechtgewordenem Essen. Es gab zwei ovale Tische, an deren Ende jeweils ein Kartengeber in einer roten Weste saß, mit neun Stühlen für die Spieler und neun Stapeln mit Chips. Es kam zu ein paar Rempeleien, während sich jeder einen Platz suchte. Das war immer einer der interessantesten Momente in diesen teamgeistfördernden Übungen: Wer sich mit wem zusammentat und wer außen vor blieb. Es erinnerte sehr an die Schule, wenn man den Kindern erlaubte, selber die Teams zu bilden. Dabei war es immer gut zu sehen, wer am Schluss nicht unterkam.
Seine Leute hätten die Achtung vor Roger verloren, wenn er nicht selbst versucht hätte, als Gewinner aus dem Wettbewerb hervorzugehen. So waren sie eben. Aber es wäre ihm auch nie etwas anderes in den Sinn gekommen. Es war also von größter Bedeutung, wer an seinem Tisch sitzen würde. Roger landete schließlich am selben Tisch wie Mark, was er sich selbst nicht unbedingt so ausgesucht hätte. Er konnte nicht genau sagen,
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