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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Traum und Albtraum eines jeden Bauunternehmers. Noch weiter oben gab es zwei weitereSchlafzimmer, beide dunkel und schäbig, ein kleines Bad, genauso dunkel und schäbig, und einen Speicher, der noch nicht ausgebaut war. Er kletterte hoch und schaute sich kurz um: das Übliche – nicht isoliert, warm und feucht, mit niedrigen, freiliegenden Holzbalken und einer zentimeterdicken Staubschicht. Er könnte sich einen Trupp zusammenstellen, um die Sache zu erledigen, aber das wäre eine Nummer größer als alles, was er bisher als Einzelunternehmer angenommen hatte.
    »Wir könnten den Speicher umbauen oder es dem Käufer überlassen. Wir bräuchten nur einen ganz groben Kostenvoranschlag. Aber dann hätten wir das ganze lästige Theater, die Baugenehmigung … die Gemeindeverwaltung …«
    Mrs Leatherby schien sich nicht immer auf das zu konzentrieren, was sie sagte, und machte den Eindruck, als würde sie sich selbst oft gar nicht zuhören. Zbigniew fragte sich, woran das wohl liegen mochte … fragte sich, was das für ein Zimmer war, in das er nicht hineindurfte … fragte sich, warum sie das Haus verkaufte, wenn es gar nicht ihr gehörte. Dann begriff er. Sie verkaufte das Haus ihrer Mutter, und ihre Mutter lebte noch. Nicht mehr lange, das war klar, sonst würde sie nicht planen, das Haus zu verkaufen. Aber worauf es letztlich hinauslief, trotz aller Rationalisierungsund Rechtfertigungsversuche, war, dass sie von einem Bauunternehmer einen Kostenvoranschlag einholte, um das Haus ihrer Mutter zu renovieren, damit sie es nach ihrem Tod verkaufen konnte, und das alles, während ihre Mutter sich noch immer im Haus befand und im Sterben lag. In Zbigniew machte sich das Gefühl breit, dass hier etwas sehr Falsches vor sich ging und dass er selbst etwas Schlechtes tat, indem er sich daran beteiligte.
    »Es gibt noch ein paar andere Leute, die ein Angebot machen werden«, sagte sie. »Weitere Kostenvoranschläge. Man hat Sie mir empfohlen … Das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Für den Anfang brauche ich nur eine grobe Schätzung, später dann genauere Zahlen. Ich werde in einer Weile etwas genauer wissen, wie es aussehen soll, wenn … Nun, wie dem auch sei, vielen Dank, dass Siegekommen sind. Schauen Sie sich noch ein wenig um, wenn Sie wollen. Ich bin dann in der Küche.«
    Plötzlich bewegte sie sich wesentlich schneller als vorher. Sie rannte fast die Treppe hinunter, und ihre Absätze machten ein rutschendes, schlitterndes Geräusch auf dem Boden. Es war alles zu viel für sie, das konnte Zbigniew sehen. Sie war kein schlechter Mensch, der etwas Schlimmes tat, sie hatte sich einfach nur verirrt und wusste nicht mehr, was sie tun sollte.
    Und während er dachte: Sie weiß nicht, was sie tun soll, wurde Zbigniew aus seinem eigenen kleinen Gedankenurlaub gerissen. Es war ein sehr kurzer Urlaub gewesen, den er jedoch sehr genossen hatte. Aber jetzt musste er wieder an Davina denken; oder vielmehr, nicht direkt an sie, sondern daran, wie die Dinge standen. Davina tat so, als sei nichts passiert, doch die Realität dessen, was vorgefallen war, stand zwischen ihnen und stank wie eine vermodernde Leiche. Es gab keinen Ausweg, jedenfalls keinen, den er erkennen oder sich vorstellen konnte. Der Blick, den er manchmal von ihr auffing, erinnerte ihn an einen Hund, der sein Herrchen anhimmelt: bedürftig, unterwürfig, geprügelt, beflissen. Jedes Gespräch zwischen ihnen war zu einer Lüge geworden. Selbst der kleinste unbedeutende Satz wurde zu einem parfümierten Furz.
    Zbigniew hörte, wie Mrs Leatherby ganz nach unten in die Küche ging, während er oben auf dem Treppenabsatz stehen blieb. Dann hörte er, wie sich noch eine Tür schloss. Sie war hinaus in den Garten gegangen. Er war allein im Haus, abgesehen von dem, was sich hinter der Tür zum Schlafzimmer befand. Es war wie ein Horrorfilm: das Monster hinter der Tür … Plötzlich ging Zbigniew hinüber und legte seine Hand auf die Klinke, ohne dass er einen Grund dafür hätte nennen können. Die Klinke war aus Holz und fühlte sich warm an. Sie war auch ein ganz klein wenig lose, nicht richtig eingesetzt, das musste auch noch erledigt werden. Er zückte sein Notizbuch, machte eine Eintragung, schloss es wieder und schob es zurück in die Jackentasche. Er drehte erst nuran der Klinke, während er sich sagte, er wolle so nur ihren Zustand prüfen, herausfinden, wie leicht sie sich bewegen ließ und wie gut oder schlecht die Tür montiert worden war. Aber er wusste

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