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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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roch irgendwie nach Geld. Die Leute hatten es, gaben es aus, dachten darüber nach und redeten die ganze Zeit darüber. Es war aufdringlich und schrecklich und vulgär, aber auch spannend und schamlos und neu und voller Energie. Ganz anders als Kecskemét in Ungarn. Dort schien die Zeit stillzustehen und sich nichts zu bewegen – aber so denken wir alle über den Ort, an dem wir aufgewachsen sind. Andererseits gehörte ihr nichts von dem Geld, das hier in London durch die Gegend schwappte. Es geschahen große Dinge, aber nicht mit ihr. Wenn man die Stadt mit einem einzigen riesigen Schaufenster verglich, dann stand sie draußen auf dem Bürgersteig und schaute hinein. Nun wohnte sie schon fast vier Jahre in London, war siebenundzwanzig Jahre alt und wartete immer noch darauf, dass ihr Leben endlich begann.
    Als Roger und Arabella sie fragten, ob sie mit zu dieser Wohltätigkeitssache gehen wolle, war sie der Idee durchaus nicht abgeneigt. Sie wäre vielleicht nicht so empfänglich gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass Roger sich Sorgen machte, man könnte sie für die Angestellte eines Escort-Services halten. Aber die Vorstellung, eine geheimnisvolle Frau von Welt zu spielen, sagte ihr sehrzu. Es war zu spät, um noch nach Hause zu fahren und sich umzuziehen, und Matya besaß ohnehin nichts, was sie getrost zu einem Ball oder Festessen hätte tragen können. Bei dieser Art von Problem lief Arabella zu Hochform auf. Nachdem Matya Conrad von seinem Spielnachmittag bei einem Freund abgeholt hatte, wurde Roger nach unten verbannt, um eine Stunde lang auf die Kinder aufzupassen. Arabella lag gegen ihre Kissen gelehnt im Bett und verteilte Anweisungen und Kommentare, während Matya die verschiedensten Kleidungsstücke anprobierte. Obwohl Matya ein paar Zentimeter größer war, einen kleineren Busen und einen dickeren Hintern hatte, gab es ein paar Sachen, die ihnen beiden passten, wie sie bereits in der Vergangenheit herausgefunden hatten. »Das ist der Beweis dafür, dass es doch einen Gott gibt«, sagte Arabella. Und während Matya ihre Kleider anprobierte, lehnte sie sich in ihre Kissen und fällte ihr Urteil.
    »Nein, nicht das, Schätzchen. Sie werden Schuhe anziehen müssen, die vorne offen sind, und damit wird das einfach komisch aussehen. Probieren Sie mal den Dries van Noten an. Das bedruckte Kleid … drehen Sie sich im Kreis … nein, da drin sehen Sie ein bisschen wie ein Hippie aus. Ziehen Sie noch mal das Schwarze an … nein, da brauchen Sie einen Push-up-BH. Mist … okay, versuchen Sie mal das Grüne.« Und so weiter. Schließlich einigten sie sich auf ein asymmetrisch geschnittenes, smaragdgrünes Kleid im Retro-Look, das Arabella in Brighton gekauft hatte, zusammen mit einer Halskette aus den zwanziger Jahren, die Rogers Mutter gehört hatte. Arabella steckte ihr ein paar Nadeln ins Haar, trat dann einen Schritt zurück und sagte: »Fertig.« Matya betrachtete sich in dem deckenhohen Spiegel. Sie sah aus wie ein Filmstar.
    Roger kam die Treppen hochgaloppiert, klopfte und fragte: »Kann ich reinkommen?«, um dann ins Zimmer zu poltern. »Es ist Zeit, dass wir – Wow«, sagte er.
    Dann setzten sie sich in ein Taxi. Taxis waren etwas, das Matya sich normalerweise nicht leisten konnte, und sie waren für sie untrennbar mit dem Glanz und Glamour Londons verbunden. Siehatte damit gerechnet, dass es mühsam werden würde, sich mit ihrem Arbeitgeber zu unterhalten – sie hatte kaum Zeit mit Roger verbracht, nach jenen ersten, intensiven sechsunddreißig Stunden damals an Weihnachten. Deswegen empfand sie seine entspannte Art, seine guten Manieren und seine Begabung, über belanglose Dinge zu plaudern, als willkommene Überraschung.
    Weil sie in Richtung Innenstadt unterwegs waren, fuhren sie auf dem ersten Teil der Strecke gegen den Strom des Berufsverkehrs. Matya stellte fest, dass sie gar nicht wusste, wo genau sie eigentlich hinfuhren, und dass es ihr auch egal war. Roger hatte sich auf dem Rücksitz des Taxis mit dem Gebaren eines Mannes breit gemacht, dem der Fahrpreis von dreißig Pfund nicht das Geringste ausmachte. Der Tag ging zur Neige, und die Lichter der Autos und im Innern der Gebäude erschienen jetzt viel heller als zuvor. Matya fand es gemütlich in dem Taxi, kam sich aber gleichzeitig ein wenig wie auf dem Präsentierteller vor. Ein Radfahrer, der an einer Ampel wartete und, von der Tasche über seiner Schulter zu schließen, höchstwahrscheinlich ein Fahrradkurier war, warf ihr einen

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