Kapital: Roman (German Edition)
habe ich dich ja nicht vorgewarnt. Oh, nein, warte mal ’ne Sekunde – jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dass ich dich ja doch vorgewarnt habe, in regelmäßigen Abständen, während der letzten drei scheißverdammten Monate. Und gestern habe ich es sogar noch mal getan.«
»Schatz, ich hab doch gesagt, es tut mir leid.«
»Nein, ehrlich gesagt, das hast du nicht. Du hast nur gesagt, dass du zu krank bist, um mitzukommen.«
»Ja, aber ich habe gemeint, dass es mir leidtut.«
»Oh gut, toll, dann ist ja alles in Ordnung. Fantastisch. Wunderbar. Und ich habe überhaupt nur deshalb zugesagt, weil ich wusste, dass du gerne hingehen würdest.«
Was, wie sie beide wussten, nicht der Wahrheit entsprach. Roger liebte die Wohltätigkeitsveranstaltungen seiner Firma. Dort konnte er seinen Charme und seine guten Manieren zur Schau stellen und allen beweisen, was für ein toller Gesellschaftslöwe er war. Arabella ließ ihm – unter den gegebenen Umständen – diese kleine Lüge durchgehen.
»Nimm doch einfach jemand anderen mit, Schatz. Nimm doch –« Arabella, die im Begriff gewesen war, Saskia vorzuschlagen, konnte sich gerade noch rechtzeitig stoppen. Erstens konnte Roger Saskia nicht ausstehen, zweitens traute sie Saskia nicht über den Weg, wenn es um ihren Mann ging, und drittens würde Saskia einen ebenso großen Kater haben wie sie selbst. Und wenn Roger sie anrief und sie ihm einen Korb gab, dann würde das seine schlechte Laune nur noch steigern.
»Nimm Matya mit.«
Roger blinzelte, wurde ein wenig rot und richtete sich noch ein kleines bisschen gerader auf. Arabella, die oft etwas blind für ihre Umgebung war, hatte noch gar nicht bemerkt, dass ihr Mann auf das Kindermädchen scharf war; doch als sie Rogers Reaktion auf ihren Vorschlag sah, wurde ihr die Sache klar. Aber keine Sorge. Roger war nicht der Typ Mann, der mit einem Kindermädchen ins Bett stieg; das passte einfach nicht zu ihm. Er war zu faul und auchzu eitel, um sich in dieser Weise zum Gespött der Leute zu machen, und auch Matya war nicht der Typ dafür. Außerdem wäre es schon längst auf Arabellas Radar aufgetaucht, wenn Matya Roger auch nur das kleinste bisschen attraktiv finden würde. Nein, da würde es keine Probleme geben. Es bedeutete nur, dass Roger viel eher auf ihren Vorschlag eingehen würde, was ja nur gut war. Außer dass sie dann – ach du Scheiße! – die Kinder abends selbst fertig machen und ins Bett bringen musste. Scheiße. Aber das war immer noch besser, als fünf Stunden damit zu verbringen, Geld für sauberes Trinkwasser auf Haiti zu sammeln, oder was auch immer sonst für eine Spendenaktion gerade anstand. Um die Tatsache zu übertünchen, dass er den Vorschlag sehr gut fand, erhob Roger ein paar Einwände.
»Sie wird sich zu Tode langweilen.«
»Es wird eine nette Abwechslung für sie sein.«
»Sie wird sich überfordert fühlen.«
»Bei deinen Kollegen? Ich bitte dich. Sie wird nicht viel sagen müssen. Sie muss nur ganz still dasitzen, hübsch aussehen und so tun, als hörte sie zu, während die ihre Machosprüche klopfen, mit ihren tollen Jagderlebnissen angeben und sich über die Londoner Innenstadtmaut beschweren.«
Und schließlich kam noch eine echte Sorge:
»Sie werden mich auslachen, wenn sie hören, dass ich mit dem Kindermädchen gekommen bin.«
»Dann sag es ihnen nicht. Sag einfach, sie ist eine Freundin von uns. Wir erklären ihr, dass sie dasselbe sagen soll.«
»Sie werden denken, ich hätte sie von einem Escort-Service gemietet.«
»Ich glaube kaum. Sie wissen doch, dass du mich hast. Wer braucht da einen Escort-Service?«
Roger war plötzlich bestens gelaunt und freute sich auf den Abend. Er begann, irgendwelche Musicalmelodien vor sich hinzusummen, während er die Türen seines Kleiderschranks öffnete und darin nach seinem Armani-Smoking suchte.
59
Matya stand den Geldströmen, in denen ein Großteil von London zu schwimmen schien, mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Das Geld war einer der Gründe, warum sie überhaupt hier war: Sie war in diese große Stadt, diese Weltstadt, gekommen, um ihr Glück zu versuchen, und sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, dass das Geldverdienen nicht zu diesem Glück dazugehörte. Sie wusste nicht genau, wie man das machte, Geld verdienen, aber jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, dass es davon in London nur so wimmelte. Man sah es an den Autos, den Kleidern, den Geschäften, den Gesprächen; selbst die Luft
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