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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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fühlte sich irgendwie anders an, schien anders zu sein.
    Während er die oberste Akte von dem Stapel auf seinem Schreibtisch herunternahm, versuchte Mill sich darauf zu konzentrieren, was genau an diesem neuen Zeug es gewesen war, das einen ganz anderen Ton angeschlagen hatte. Als er die Sache mit dem Kriminalbeamten durchgesprochen hatte, der ihm bei den anfänglichen Ermittlungen geholfen hatte, war Mill zu einer Schlussfolgerung gekommen.
    »Es könnte so ’ne Künstlersache sein«, hatte der Beamte gesagt. »Vielleicht ist es ja so eine Art Performance. Etwas, das die Leute sich anschauen sollen. Damit sie ins Nachdenken kommen, wissen Sie, so ’n Zeug eben.«
    Er warf Mill einen Blick zu, der zu sagen schien: Das sollten Sie doch besser wissen als ich, das fällt viel mehr in Ihr Gebiet als in meines.
    »Aber so wirkt es gar nicht, oder?«, sagte Mill. »Die Fotos sind irgendwie scheiße, aber eben nicht so, dass sie nur so tun, als wären sie scheiße. Sie gehören nicht zu der Sorte, die sich dann, wenn man genauer hinschaut, sogar als ziemlich gut herausstellen und deshalb so was wie Kunst sein könnten. Kennen Sie dieses Video von Fatboy Slim, ›Praise You‹, wo sie in diesem Einkaufszentrum tanzen, absolut stümperhaftes Rumgetanze; aber wenn man dann genau hinsieht, kann man erkennen, dass es in Wirklichkeit sehr gute Tänzer sind, die nur so tun, als wären sie mies? So etwas ist das hier nicht. Das hier sind schlechte Aufnahmen. Und wenn man genauer hinsieht, dann sehen sie nur noch mehr wie schlechte Aufnahmen aus.«
    »Aber er ist nicht irgendwie gewalttätig geworden. Und er scheint auch niemanden besonders auf dem Kieker zu haben. Es scheint viel eher um die Häuser zu gehen.«
    »Ja – die Häuser und die Straße. Das ist ein Ort, den er sehr gut kennt. Und es fühlt sich eher an wie ein Mann, nicht wie eine Frau. Ein Kerl. Es ist alles ein bisschen obsessiv. Ein bisschen so wie eine Zwangsstörung oder wie das Asperger-Syndrom. Dieselbe Sache immer und immer wieder durchkauen. Dieser Ort löst Gefühle in ihm aus, und er ist ihm sehr vertraut. Er geht oder ging an diesen Häusern immer und immer wieder vorbei. Er kocht geradezu über von dem Bedürfnis, den Menschen in diesen Häusern seine Meinung zu sagen. Ja, die Geschichte hat konkret mit dieser Gegend zu tun. Und auch der Täter hat konkret mit dieser Gegend zu tun.«
    Und darauf hatten sie es beruhen lassen. Aber jetzt gab es da all dieses neue Material, das viel düsterer und viel ausfälliger war. Mill durchwühlte den Stapel von Fotos und fand die Liste der Einwohner der Pepys Road, die er zusammen mit dem Kriminalbeamten erstellt hatte, während sie vor ein paar Wochen an dem Fall gearbeitet hatten.
    Sein Handy klingelte. Janie. Mill freute und ärgerte sich gleichzeitig. Warum musste seine Freundin immer, aber auch wirklich immer dann anrufen, wenn er auf der Polizeistation war?
    »Ich kann jetzt nicht reden.«
    »Ich weiß, aber ich bin bei Sainsbury’s, und ich will diese Grünkohlsuppe kochen, von der ich dir erzählt habe, die mit Chorizo und Knoblauch; aber zu dem Rezept gehören auch Kartoffeln. Machst du immer noch diese komische kohlehydratarme Diät?«
    Janie war eine sehr ernstzunehmende Köchin, und Mill, der auf die Dreißig zuging, machte sich langsam Sorgen darum, wie er am besten sein Gewicht halten konnte. Ein jungenhaftes Aussehen war nicht immer hilfreich für einen Kriminalinspektor, aber es war immer noch besser, als fett zu sein.
    »Das ist korrekt.«
    »Liegt das daran, dass dir diese Jeans nicht gepasst haben? Ich hab dir doch gesagt, die sind aus Japan, und in Japan entspricht die Größe dreißig der englischen Größe sechsundzwanzig. Du bist heute dünner als damals, als wir uns kennengelernt haben.«
    Sie waren am Wochenende shoppen gewesen, und Mill hatte auf der Suche nach einem Paar Jeans die absolute Krise bekommen.
    »Das kann ich nicht bestätigen.«
    »Tja, ich mache die Suppe trotzdem, für das Rezept braucht man sowieso nur ungefähr hundert Gramm Kartoffeln. Tschüss, du kleine Fettsau, ich liebe dich«, sagte Janie und hängte auf. Mill versuchte, ernst zu bleiben, während er sein Handy weglegte, aber es gelang ihm nicht ganz. Janie kannte ihn einfach zu gut.
    Ja – das war der richtige Gedanke. Wer auch immer hinter diesem W IR W OLLEN W AS I HR H ABT steckte, kannte die Straße gut oder sie löste zumindest starke Emotionen in ihm aus. Er sah sich noch einmal die Liste mit den Namen an

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